Das Kind, das nicht gelobt werden wollte

oder: Warum Ehrlichkeit am längsten währt

Es war also mal wieder soweit: Ich sollte etwas lernen und zwar mit Pauken und Trompeten. Ich war wohl wieder etwas zu lax an mein Mutter-Dasein heran gegangen und das war dem aufmerksamen Kinderauge und -ohr nicht entgangen. Also hier meine Lektion der letzten Woche …

Mona hat ein Bild von einem Menschen gemalt. Zum ersten Mal in ihrem Leben.

Ungewitter

Und sie kommt damit zu mir, zeigt es mir und erzählt mir, dass sie es ist auf diesem Bild. Ich war nach einem langen Vormittag in unserer Eltern Cooperative Playcentre dabei, meine Tasche und unsere sieben Sachen zu packen, und visualisierte gerade vor meinem inneren Auge ein reichliches und deftiges Mittagessen und hoffentlich 5 Minuten Ruhe mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Ergo war mein Bestreben, auf schnellstem Wege das Auto zu erreichen; mitsamt der drei Kurzen, wenn’s geht, ohne dass jemand heult und möglichst auch ohne Brotdosen, Pullis oder mein Handy zurückzulassen.

So sage ich schnell in meiner besten Lobgesangsstimme: ”Toll, das hast du gemalt!!! Das ist ein hübsches Bild von dir!”

Mona reißt das Bild an sich, guckt mich erbost an und brüllt: „Das ist kein hübsches Bild!“ Dann folgt ein Ungewitter, das seines Gleichen sucht. Wild kreischend rennt sie durch den Flur, das Bild stößt sie immer wieder in die Luft und sie schreit: „Das ist gar kein hübsches Bild! Du sollst nicht so was sagen!!“ Hin und wieder wirft sie noch ein: „Doofe Mama!“

Und ganz ehrlich jetzt mal: Recht hat sie!

Sensible Antennen

Weder besonders hübsch noch naturgetreu ist das Selbstportrait gelungen. Es ist super – aber auch ganz normal und altersgerecht – dass sie in ihrer künstlerischen Laufbahn die nächste Ebene erreicht hat. Aber anstatt das in Worte zu fassen, wie es wirklich ist: “Oh, Du malst jetzt Menschen. Und Du hast Deine Lieblingsfarbe Lila benutzt”, lasse ich mich hinreißen zu einem total unangebrachten Überlob. Und jeder, der sensible Antennen hat – alle Kinder also schon mal – durchschaut, dass meine Äußerung nicht ehrlich gemeint und ziemlich herzlos dahin geplänkert ist. […]

Meine dreijährige Tochter hat mir - wieder einmal - die Augen geöffnet. Sie durchschaut mich und spuckt mir meine Unehrlichkeit ziemlich ehrlich vor die Füße. Da! Du doofe Mama! Da hast Du’s!

Ungeteilte Aufmerksamkeit

Kinder möchten in erster Linie wahrgenommen werden. Dafür brauchen (und sollten) wir nicht werten. Einfach mal mit voller Aufmerksamkeit zuhören, mit voller Aufmerksamkeit hinschauen und voll und ganz, mit Körper und Geist, bei dem Kind sein. Das ist das größte Kompliment, das man geben kann: ‚Du bist es mir wert‘.

Klar, hört auch Mona gerne Lob. Echtes Lob und ehrliche Komplimente, die, die von Herzen kommen und von so einem elterlichen Dahin-Schmelzen begleitet werden. Wenn man sein Kind einfach so unglaublich toll findet, und die Gefühle übersprudeln, so dass man gar keine Worte mehr findet. Dann, glaube ich, ist es fast egal, was man hervorbringt. Die sensiblen Antennen haben die Nachricht eh schon erhalten. Von Herz zu Herz.

Annika Kurze
Quelle: https://dreikurze.com/, In: Pfarrbriefservice.de

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Juni 2017

Vor dem Herunterladen:

Datei-Info:
Dateiformat: .doc
Dateigröße: 0,03 MB

Sie dürfen den Text NICHT in sozialen Medien nutzen (z.B. Facebook, Twitter, Instagram, YouTube, etc.)

Beispiel für den Urhebernachweis, den Sie führen müssen, wenn Sie den Text nutzen

Text: Annika Kurze, https://dreikurze.com/
In: Pfarrbriefservice.de