Das Fegefeuer als das reinigende Feuer der Liebe Gottes selbst

Kinder kennen nur Himmel oder Hölle

Jedes Jahr, wenn wir auf Allerheiligen und Allerseelen zugehen und ich den Kindern der 3. Klasse diese Feste zu erklären versuche, erlebe ich fast aufs Haar genau dieselbe Szene. Ich frage: „Kinder, was meint ihr: Wohin kommen die Verstorbenen nach dem Tod?“ Die so gut wie einhellige Antwort lautet jedes Jahr wieder: „In den Himmel“ (ja, natürlich, wohin sonst?). Auffallend ist für mich, das sei nur am Rande vermerkt: Im Gegensatz zu Jugendlichen und Erwachsenen gibt es fast keine Kinder, die ein Leben nach dem Tod bezweifeln. Kinder glauben daran aus einer, wie mir scheint, kindlichen Intuition. (Vielleicht einfach deshalb, weil sie dem Himmel näher stehen.)

Dann aber kommt noch eine zweite Frage: „Was ist aber mit denen, die böse waren in ihrem Leben? Kommen die auch einfach in den Himmel?“ Wiederum die so gut wie einhellige Antwort: „Nein, die kommen in die Hölle.“

Für Kinder ist der Fall also ziemlich klar und eindeutig. In diesem Alter gibt es nur weiß oder schwarz, gut oder böse, Himmel oder Hölle. Sie kennen noch nicht – und man weiß, dass es sich entwicklungspsychologisch in dieser Altersstufe tatsächlich so verhält – die ganzen Zwischentöne von hell- bis dunkelgrau. Erst wir Erwachsene wissen, dass sich das Leben der meisten Menschen in diesem Zwischenbereich von nicht ganz weiß, aber auch nicht ganz schwarz abspielt.

Und letztlich ist genau das der Grund, warum wir Katholiken (wie auch die Orthodoxen, diese allerdings jeweils an einem Samstag vor Ostern und Pfingsten) den Allerseelentag begehen. Das ist der Grund, warum wir für die Verstorbenen beten: in jeder Messfeier, meistens in den Fürbitten, immer im Hochgebet. Das ist der Grund, warum wir Messintentionen für unsere Verstorbenen kennen, warum wir also heilige Messen für sie feiern lassen.

Wem gelten unsere Gebete für Verstorbene?

Nun aber die Frage jenseits der Bilder von weiß, schwarz und grau: Wem gelten denn eigentlich die Gebete und die Feiern der heiligen Messe am Allerseelentag, bei Beerdigungen, bei Gedenkgottesdiensten?

Offensichtlich nicht denen, die die Kirche am Allerheiligentag gefeiert hat; jenen unzähligen bekannten und unbekannten Heiligen, die schon in Gott vollendet, d.h. im Himmel sind. Sie brauchen nicht mehr unser Gebet. Vielmehr sind sie es, die fürbittend für uns eintreten.

Sie können auch nicht jenen gelten, die ein endgültiges Nein zu Gott gesagt und darin sich selbst von Ihm wegverflucht haben. Natürlich glauben wir: Kein Mensch, mag er auch noch so schuldig geworden und noch so viel Böses getan haben, wird von Gott zurückgewiesen, wenn er ehrlich um Vergebung bittet. Aber wir haben die Freiheit, uns bis zuletzt gegen Gott und Seine Barmherzigkeit zu verschließen. Mit einem solchen definitiven Nein wählen Menschen für sich selbst den Ort der Ferne von Gott, damit den Ort der äußersten Finsternis, und diesen nennen wir Hölle. Jesus spricht zu oft und zu eindringlich von dieser furchtbaren Möglichkeit, von der Möglichkeit eines endgültigen Nein, dass also wir selbst unser Leben endgültig zum Scheitern bringen können, als dass wir sie in einem beschwichtigenden Heilsoptimismus einfach leugnen könnten.

Das Fegefeuer als „Vor-Himmel“

All das heißt nun aber auch: Es muss noch, wie schon gesagt, ein Dazwischen geben; also Menschen, die zwar ein grundsätzliches Ja zu Gott gesagt haben, aber ein Ja, das noch von vielen Neins durchsetzt ist; ein Ja, das noch der Läuterung bedarf; also gleichsam ein „Jein“, das noch zu einem vollständigen Ja restloser Liebe hin gereinigt und durchklärt werden muss.

Die Volksfrömmigkeit spricht vom Fegefeuer und hat sich dieses oft in schauerlichen Bildern ausgemalt. Dabei ist auch die Verkündigung nicht immer der Gefahr entgangen, Gott als fast so etwas wie einen jenseitigen „Folterknecht“ vorzustellen, der über jede Sünde peinlich genau Buch führt und die entsprechenden Strafen verhängt. Gegenüber solchen oder auch anderen, etwas vergeistigteren Vorstellungen vom Fegefeuer sollten wir zugeben: Wir können es uns nicht vorstellen. Nur so viel können wir sagen: Mag der Schmerz auch umso größer sein, je weiter entfernt von Gott, je egoistischer, je liebloser, je unversöhnter, je oberflächlicher ein Mensch gelebt hat – es muss ein seliger Schmerz sein, denn ich weiß: Ich bin zwar noch nicht im Himmel, aber ich bin definitiv nicht gescheitert und verloren, ich bin also gleichsam im „Vor-Himmel“, d.h. auf dem Weg zum endgültigen Ziel, zu einer unvorstellbar schönen Vollendung. Zugleich weiß ich: Die ganze Wahrheit über mich selbst, die ich im Spiegel der Liebe Gottes erkenne und erblicke, mag schrecklich, beschämend, demütigend sein – aber sie bringt mich zu der Person, die ich hätte sein sollen und auch sein können und die Gott vorschwebte, als Er sich mich ausgedacht hat; sie bringt mich endlich und endgültig zu mir selbst.

Wie Gott daher mir, uns, unseren Verstorbenen jenseits der Schwelle des Todes begegnet, habe ich besonders schön, kurz und prägnant ausgedrückt gefunden bei Hans Urs von Balthasar: „Gott ist ... als Gewonnener Himmel, als Verlorener Hölle, als Prüfender Gericht, als Reinigender Fegefeuer.“

Die Gebetsgemeinschaft der Kirche reicht über den Tod hinaus

Das Feuer des Fegefeuers ist also letztlich gar nichts anderes als das Feuer der Liebe Gottes selbst, in das wir hineingehalten werden, wenn wir nach unserem Tod vor Gott stehen. Diese Liebe und sie allein wird der letzte Maßstab im Gericht sein. Was nicht Liebe von Gottes absolut reiner und selbstloser Liebe ist, muss in diesem Feuer verbrennen, muss befreit werden aus dem Kerker von Egoismus und Ichverhaftung.

Andere Religionen kennen einen ähnlichen und doch ganz anderen Prozess. Auch der Buddhismus strebt die Lösung von aller Ichverhaftung an. Hier ist es aber das Karma, das jeder Mensch unerbittlich in einem weiteren Leben abarbeiten muss,um nach unzähligen Wiedergeburten endlich im Nirwana zu verlöschen. Nach christlicher Lehre geschieht die Läuterung, die Befreiung von allem Egoismus, unsere Verwandlung in die Liebe Gottes durch diese Liebe selbst als ein Akt der Gnade und der Barmherzigkeit. Der Wiener Pastoraltheologe Zulehner hat einmal geschrieben: Wenn es nicht schon kirchliche Lehre wäre, müsste man das Fegefeuer als eben diesen Ort der Gnade und der Reifung dem Himmel entgegen erfinden.

Darüber hinaus sagt uns der Allerseelentag: Wir müssen unsere Verstorbenen diesen Prozess nicht allein durchstehen lassen. Als Kirche sind wir eine große Gebetsgemeinschaft, in der einer für den anderen auch über den Tod hinaus fürbittend einstehen kann. Die heilige Messe für unsere Verstorbenen feiern heißt, sie unter das Kreuz stellen, sie hineinstellen in das Feuer der leidenden Liebe Christi, dessen Erlösungswerk ja in jeder heiligen Messe sakramental gegenwärtig wird. Es ist ein Dienst der Liebe, ein Dienst der Dankbarkeit, sicher der wertvollste Dienst, den wir unseren Toten noch erweisen können: unser Gebet und die Feier des heiligen Messopfers.

Pfr. Bodo Windolf
Quelle: www.steyler.eu

 

 

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Das Schwerpunktthema für November 2013

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Text: Pfr. Bodo Windolf
In: Pfarrbriefservice.de