Die Bilder der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 in Berlin berühren noch heute. Tausende Menschen stehen dicht gedrängt im Ostteil der Stadt an den Grenzübergängen einer unüberwindlichen Mauer. Sie trennt Ostdeutschland, die Deutsche Demokratische Republik (DDR), von Westdeutschland, der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Viele Wartende klammern sich an diesem Abend an die Hoffnung, dass das Undenkbare – eine Öffnung der innerdeutschen Grenze für alle – wahr werden könnte. Vorausgegangen waren in Leipzig und anderen Städten der DDR Demonstrationen von zunehmend mehr Menschen für demokratische Reformen, Reisefreiheit und Meinungsfreiheit. Gegen 23 Uhr am 9. November 1989 gibt der diensthabende DDR-Grenzoffizier am Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße dem Druck der wartenden Menschen nach und lässt die Schranke öffnen – zunächst ohne klare Anweisung von oben. Erst zögerlich, dann wie in einem Rausch strömen die Menschen aus dem Osten durch die Tore, die sich an weiteren Grenzübergängen öffnen. Es ist, als würde ein Damm brechen – ein Damm, der jahrzehntelang Familien, Freunde, ein ganzes Volk getrennt hatte.
Auf der Westseite fallen sich Fremde in die Arme. Fassungslosigkeit, Erleichterung, Glück – all das mischt sich in den Gesichtern. Es wird gejubelt, geweint, gelacht. Viele bringen Blumen, Sekt, Kerzen. Auf den Straßen herrscht eine ausgelassene Feier, Menschen tanzen auf der Berliner Mauer, stoßen mit Plastikbechern an, während unten der Strom der Neuankömmlinge nicht abreißt.
In nicht weniger als einem Jahr danach ist die Teilung Deutschlands, die eine Folge des 2. Weltkriegs war, überwunden. Am 3. Oktober 1990 tritt die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD bei. So heißt es offiziell. Der 3. Oktober wird seitdem als Tag der deutschen Einheit gefeiert. Überlegungen, in Ostdeutschland nach dem Fall der Mauer ein eigenständiges politisches System zu etablieren, konnten sich nicht durchsetzen. Bei der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR am 18. März 1990 gewannen vor allem die Parteien, die eine rasche Wiedervereinigung befürworteten.
35 Jahre später zeigt sich immer deutlicher, dass zwar die staatliche Einheit wieder hergestellt und vieles mittlerweile geschafft ist, dass aber die innere Einheit eine Herausforderung bleibt.
In vielen Regionen Ostdeutschlands sind Löhne, Vermögen und Renten im Durchschnitt niedriger als im Westen. Große Unternehmen und gut bezahlte Jobs sind häufiger im Westen zu finden, was zu einem Gefühl struktureller Benachteiligung im Osten führt. Viele Menschen in Ostdeutschland haben Jahrzehnte in einem anderen politischen und gesellschaftlichen System gelebt. Diese Erfahrungen wirken bis heute nach und prägen Sichtweisen, die aber in der öffentlichen Debatte, die als westdeutsch dominiert wahrgenommen wird, kaum eine Rolle spielen. Viele Ostdeutsche empfinden, dass ihre Lebensleistungen nach der Wende nicht ausreichend gewürdigt wurden – etwa durch Arbeitslosigkeit, Abwicklung von Betrieben oder westdeutsch dominierte Führungspositionen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Nach wie vor existieren Klischees wie „Jammer-Ossi“ und „Besser-Wessi“.
Was kann helfen? Mehr Interesse für die Herausforderungen, denen sich Menschen in Ostdeutschland gegenüber sehen, ein stärkeres Aufeinanderzugehen, das frei ist von Vorurteilen und frei ist für andere Sichtweisen, hüben wie drüben. Die innere Einheit ist ein Prozess, der gegenseitiges Verstehen, Zeit und echte Begegnung braucht. Machen Sie Ihren Pfarrbrief zu einem solchen Ort der Begegnung. Die untenstehenden Beiträge des Schwerpunktthemas unterstützen Sie dabei.