Das Thema „Sexueller Missbrauch" in der eigenen Gemeinde beleuchten.
Sexueller Missbrauch: Passierte oder passiert er in der eigenen Pfarrei? Was macht er mit den Betroffenen? Wurde all das je aufgearbeitet? Ursula Bühler-Hornung und Michael Stolz halten seit vielen Jahren gemeinsam Wortgottesfeiern in der Pfarreiengemeinschaft Dürrbachtal bei Würzburg. Darin haben sie das Thema auf ihre eigene Pfarreiengemeinschaft heruntergebrochen. Ihre Herangehensweise, ihre thematische Schwerpunktsetzung, ihre Ideen lassen sich auf den Pfarrbrief übertragen. Lassen eine Brücke schlagen. Können eine wertvolle Inspiration für Pfarrbriefredaktionen sein. Ein Interview mit den beiden über Verantwortung für die Gegenwart, ihr eigenes Ringen mit dem Thema und was sie Pfarrbriefredaktionen empfehlen würden.
„Sexueller Missbrauch“ ist ein schwieriges, ein komplexes Thema. Warum war es euch wichtig es aufzugreifen?
Michael Stolz: Wenn das ein allgemeines Thema ist, das in der Öffentlichkeit immer wieder zur Sprache kommt, muss es auch dort zur Sprache kommen, wo es geschehen ist. Wir können in der Kirche die Augen zu machen und das ausblenden. Das ist nicht angemessen. Wir müssen das Problem, das da ist, sehen und im Bereich der Kirche ansprechen. Das finde ich gehört sich so.
Ursula Bühler-Hornung: Bei mir ist es aus Betroffenheit vieler Patienten, Bekannten, Freundinnen, die ich kenne. Deswegen dachte ich: Jetzt wird es Zeit!
„Sexueller Missbrauch“ scheint oft weit weg. Scheint in anderen Bistümern zu geschehen, in anderen pastoralen Räumen, in anderen Pfarreiengemeinschaften. Nicht in der eigenen Pfarrei, in der eigenen Kirche. Ihr habt das Thema „Sexueller Missbrauch“ auf die eigene Pfarreiengemeinschaft heruntergebrochen. Es in eurer Pfarreiengemeinschaft thematisiert. Es aufgearbeitet.
Ursula Bühler-Hornung: Ich habe mich dagegen gewehrt. Du, Michael, wolltest das Thema gerne aufgreifen, weil es in unserer Gemeinde noch nicht richtig aufgegriffen wurde. Das fand ich wichtig und das hat mich motiviert. Ich war bereit mich damit auseinander zu setzen.
Michael Stolz: Der Pfarrer meinte, er hätte das Thema schon aufgegriffen, es mehrmals in Predigten behandelt und im Pfarrbrief sei einmal eine Bemerkung von ihm gewesen.
Ursula Bühler-Hornung: Wir haben Gemeindemitglieder dazu befragt.
Michael Stolz: Aber, das Thema war den Leuten nicht bewusst.
Ursula Bühler-Hornung: Vielleicht wurde das viel allgemeiner gehandhabt. Nach dem Motto: Betrifft keinen von uns, aber wir müssen es behandeln. Das Gegenteil haben wir gemacht. Ich schätze, dass es deswegen viel stärker bei den Leuten angekommen ist.
Wie das Thema aufbereiten?
Wie seid ihr an das Thema herangegangen? Wie habt ihr es aufbereitet?
Ursula Bühler-Hornung: Wir haben lange überlegt, was uns wichtig ist. Was wir herüberbringen wollen. Was wir machen könnten. Wir wollten auf keinen Fall nur anklagen. Uns ging es um die Weiterentwicklung.
Michael Stolz: Ich habe mehrere Artikel aus der Zeitung für die Predigt verwendet. Zum Beispiel aus der SZ. Da war die Meinung der Direktorin des NS-Dokumentationszentrums in München abgedruckt. Es ging darum, warum es so wichtig sei, Untaten zu erinnern. Da hieß es, weil wir alle Verantwortung für die Gegenwart hätten. Das war für mich ein ganz wichtiger Punkt, um die Gegenwart zu verändern!
Ursula Bühler-Hornung: Diese Artikel haben unsere Gedanken gestützt. Sie haben das auf den Punkt gebracht, was uns so wichtig ist: Dass wir die Verantwortung für die Gegenwart haben. Wie können wir diese Verantwortung aufnehmen? Wie können wir diese Verantwortung leben? Ein Beispiel dafür war die Wortgottesfeier. Wir teilen uns die Predigt immer. Ich wusste lange nicht, wie ich mich einbringen kann. Einmal bin ich nachts aufgewacht und mir ist alles eingefallen. Gott sei Dank habe ich es aufgeschrieben. Am nächsten Tag habe ich gedacht, dass ich das auf keinen Fall so in der Wortgottesfeier bringen kann, deshalb habe ich es zwei engen Vertrauten gezeigt, die mich ermutigt haben. Das war eine Mutprobe für mich.
Michael Stolz: Ja, es waren sehr harte Formulierungen dabei.
Ursula Bühler-Hornung: Genau die sind für manche Besucher und Besucherinnen unserer Wortgottesfeier wichtig gewesen, deswegen habe ich sie auch verteidigt.
Ursula Bühler-Hornung und Michael Stolz brechen mit der Polarisierung, mit der Einteilung in Gut und Böse.
Die Gestaltung einer Wortgottesfeier unterscheidet sich von einer Pfarrbriefgestaltung. Und doch gibt es Parallelen bei der thematischen Umsetzung. Was würdet ihr Pfarrbriefredaktionen empfehlen?
Michael Stolz: Wenn es geht, würde ich empfehlen die Polarisierung ein bisschen zu vermeiden.
Aber es gibt Täter und Opfer.
Ursula Bühler-Hornung: Ich habe im Gottesdienst eingebracht, dass die Täter laut Studienlage zu einem sehr hohen Prozentsatz auch einmal Opfer waren. Das relativiert die Polarisierung, des „Guten“ und „Bösen“. Die Ideologie ist in meinen Augen nicht zielführend. Denn, es geht um Aufklärung, Verständnis und um alles, was heilend wirkt.
Michael Stolz: Wir haben bei unserem Gottesdienst zum Beispiel am Anfang pointiert gesagt: „Wir sind die Guten. Wir machen immer alles richtig. Die anderen sind die Bösen. Die treiben ihr böses Unwesen.“ Später haben wir das konkretisiert, denn die „Guten“ haben die „Bösen“ durch ihr Verhalten bislang bekräftigt und nicht eingegrenzt.
Die Menschen hätten wohl wenig Verständnis, wenn ein Gemeindemitglied in der eigenen Pfarrei andere sexuell missbraucht.
Michael Stolz: Ich habe von einem Beispiel aus meinem Erziehungsalltag erzählt. Wir haben damals zum Beispiel einen körperlichen Übergriff, eine Ohrfeige von einem Pfarrer, kommentarlos geschluckt. Nach dem Motto: ´Na, unser Sohn wird schon irgendetwas dazu beigetragen haben.´ Das heißt: Man hat diese geweihten Häupter mit mehr Ausnahmen versehen. Man hat das hingenommen. Das hat dazu beigetragen, dass sich ein solches selbstherrliches und menschenverachtendes Verhalten bei einer bestimmten Personenschicht des geweihten Standes ausbreiten konnte.
Ursula Bühler-Hornung: Das ist diese Gesinnung, diese eine Richtung, die Gläubige oder Kirchenzugehörige vorgeben. Diese Hierarchie kann nur leben, wenn einer oben ist und die anderen unten bleiben und die Kompetenz abgeben.
Wie Artikel im Pfarrbrief zu diesem Thema verfassen? Empfehlungen von Michael Stolz und Ursula Bühler-Hornung.
Ihr habt die Menschen, die in eurem Gottesdienst waren, frontal mit dem Thema konfrontiert. Das kann gefährlich sein. Denn keiner weiß, kann abschätzen, was das bei den Betroffenen auslöst, was es mit ihnen macht.
Ursula Bühler-Hornung: Das war der Grund, warum ich dieses Thema anfangs nicht in einer Wortgottesfeier aufgreifen wollte. Andererseits habe ich mich in der Verantwortung gesehen. Denn es hilft nichts, wenn keiner darüber spricht. Meistens sind Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch zu einem hohen Prozentsatz verdrängt. Diese Abwehrmechanismen sind ganz wichtige Schutzmechanismen unserer Seele. Auf die habe ich vertraut und auch darauf, dass die Menschen das Thema an sich heranlassen, wenn es für sie an der Zeit ist.
Michael Stolz: Wir hatten auch den statistischen Gedanken, dass unter uns welche sein könnten, die davon betroffen sind. Da haben wir versucht etwas heilend darauf einzuwirken.
Wie?
Ursula Bühler-Hornung: Ich bin in der Wortgottesfeier mit den Besucherinnen und Besuchern in Kontakt gegangen, indem ich sie direkt angesprochen habe. Zu Beginn habe ich gesagt: ´Ich werde etwas ansprechen, das Sie erfreuen wird oder das Sie total schlimm finden können.´ Ich wollte die Menschen vorbereiten, darum habe ich vorweggenommen, dass jetzt etwas kommt, das polarisieren kann und um auf das Thema vorzubereiten. Während unserer Predigt haben wir auf Beratungsangebote hingewiesen und mehrmals mitgeteilt, dass wir nach der Wortgottesfeier zum Gespräch für sie da sind. Wir haben das angeboten, denn das ist der Sinn von Gemeinde! Dazu haben wir Tische aufgebaut und Getränke angeboten und Flyer von Anlaufstellen aufgelegt.
Das ist im Pfarrbrief nicht möglich.
Ursula Bühler-Hornung: Eine persönliche und vertrauensvolle Verbindung ist die Basis. Sprechen Sie die Menschen in Ihrem Pfarrbriefartikel an. Schreiben Sie zum Beispiel: ´Wie geht es Ihnen, wenn Sie das lesen? Schreiben Sie mir oder schreiben Sie dem oder melden Sie sich dort.´ So könnte ich es mir vorstellen.
Aber, was ist der Inhalt der Artikel?
Ursula Bühler-Hornung: Menschen, die betroffen sind und sich damit befassen, können in eine Krise kommen. Krisen können heilsam sein. Das können Pfarrbriefredaktionen in einem Pfarrbriefartikel thematisieren und beschreiben.
Wovon würdet ihr abraten?
Ursula Bühler-Hornung: Ich hätte Bedenken im Pfarrbrief eine Selbstbefragung zu machen und zu fragen: Was ist in meiner Tiefe? Brodelt da etwas, wenn ich von dem Thema höre? Gibt es da eine Stimme, die ich bis jetzt überhört habe? Das ist heikel, wenn da kein Rahmen ist, der das auffangen kann!
Bei diesem Thema ist es essentiell die Leserinnen und Leser psychisch aufzufangen. Ist das im Pfarrbrief überhaupt möglich?
Ursula Bühler-Hornung: Zum Auffangen würde ich direkt neben den Artikel schreiben welche Anlaufstellen es in ihrem Umkreis gibt. Das würde ich unbedingt machen! Ich habe im Nachhinein des Gottesdienstes zum Beispiel Sachen von „Wildwasser“ verteilt.
Das könnte anderen helfen – Tipps von Ursula Bühler-Hornung und Michael Stolz.
Was würdet ihr Pfarrbriefredaktionen empfehlen, wenn ihr auf die Erfahrungen blickt, die ihr mit dem Gottesdienst gemacht habt?
1. Tipp – Ursula Bühler-Hornung: Setzen Sie sich mit dem Thema auseinander. Verschaffen Sie sich Rückhalt, wenn Sie das Thema bearbeiten. Ich kann die Empfehlung geben: Reden Sie darüber mit Menschen, denen Sie vertrauen. Genau das schafft Verbindungen und Heilung.
2. Tipp – Michael Stolz: Machen Sie im Pfarrbrief, der vor der Ausgabe mit dem Schwerpunkt „Sexueller Missbrauch“ veröffentlicht wird, auf das Thema aufmerksam. Sie können darin schreiben, dass Sie das Thema bringen wollen. Vielleicht findet sich noch jemand, der Interesse hat mit dem Redaktionsteam zusammenzuarbeiten. So können Sie sich im Vorfeld Verstärkung holen.
Wie wichtig es ist, das Thema aufzuarbeiten, zeigen die positiven Rückmeldung der Besucher und Besucherinnen der Wortgottesfeier in der Pfarreiengemeinschaft Dürrbachtal.
Die Rückmeldungen, die euch die Besucher nach dem Gottesdienst gegeben haben, waren überwiegend positiv. Es hat euch bestärkt, dass es richtig war, „Sexuellen Missbrauch in der eigenen Pfarrei“ zu thematisieren. Das kann eine Ermutigung für Pfarrbriefredaktionen sein.
Ursula Bühler-Hornung: Ich habe an den Reaktionen gemerkt, dass manche Frauen richtig betroffen und vor allem erleichtert waren. Aus Fachkreisen, die mit Betroffenen arbeiten, haben wir Bestätigung erhalten, dass es ihnen gut gefallen hat, wie wir das Thema aufbereitet haben. Eine Gottesdienstbesucherin war sehr dankbar, dass endlich jemand so klar und deutlich zu diesem Thema in unserer Pfarreiengemeinschaft spricht. In der gleichen Wortgottesfeier war aber auch ein Mann, der entsetzt war.
Michael Stolz: Der Mann war die einzige Ausnahme. Keiner hat gesagt, dass wir den Käse lassen sollen, weil sie ihn so oft gehört haben und nicht mehr hören wollen. Das fand ich sehr gut.
Ursula Bühler-Hornung: Eine Frau hat mir nach dem Gottesdienst gesagt: ´Was ihr macht, das ist Heilung für die Kirche.´ Das hat mich echt gerührt. Mir war bis dahin nicht klar, dass es mir um die Heilung der Kirche geht. Aber natürlich, es geht mir um die Heilung in den Menschen und die Menschen sind die Kirche. Sobald etwas in die Sprache kommt, ausgesprochen wird und ins Bewusstsein kommt, kann etwas heilen.
Sich mit „Sexuellem Missbrauch“ auseinanderzusetzen, kann für einen selbst erschütternd sein, aufwühlend, bewegend. Was hat es mit euch gemacht? Ist es euch persönlich schwer gefallen? Auf was müssen sich Pfarrbriefmacherinnen- und macher einstellen?
Michael Stolz: Bei mir war es mehr ein sachlich interessierter Blick von außen, den ich darauf geworfen habe. Da bist du Ursula viel persönlicher angesprochen gewesen und hast das Ganze mit inneren Kämpfen durchgestanden.
Ursula Bühler-Hornung: Klar, ich habe den ganzen Sommer damit gekämpft. Das war sehr fruchtbar und wertvoll.
Falls Sie Fragen haben oder Hilfe brauchen, können Sie können sich auch gerne an Michael Stolz oder Ursula Bühler-Hornung wenden. Sie erreichen die beiden via Mail unter: m_stolz@web.de oder u.buehler-hornung@arcor.de
Ronja Goj, In: Pfarrbriefservice.de