Im Geschehen. Lebendig. Kino im Kopf. So ist sie, die Reportage. An die sich viele nicht herantrauen. Weil sie zu schwierig sei. Zu aufwendig. Zu kompliziert zu schreiben. Dabei lohnt es sich, der Reportage eine Chance zu geben. Sie von ihrem Sockel zu heben. Sie auszuprobieren. Weil sie Spaß macht. Weil der Autor draußen ist, in der Welt. Weil sie sich wunderbar für Themen eignet, die umfangreich sind. Bei denen es um die Atmosphäre geht. Das eigene Erleben. Weil der Autor kreativ sein kann. Seinen eigenen Schreibstil ausleben kann. Sich austoben kann. Die Redakteure des Pfarrbriefs „impulse“ der Pfarrei St. Johann Baptist in Gröbenzell bei München haben sich an die Reportage herangetraut. Haben die Reportage zur Creme ihres Pfarrmagazins gemacht. Ein Gespräch mit Gabriele Wenng-Debert und Bettina Thöne, zwei der Reportagen-Schreiberinnen.
Pfarrbriefservice.de: Was fasziniert Sie an der Reportage?
Gabriele Wenng-Debert: Mir geht es darum, einen Text so lebendig wie möglich zu gestalten. So, dass sich der Leser leicht tut, dass es ihm Spaß macht, die Reportage zu lesen.
Bettina Thöne: Mir gefällt, dass der Leser direkt ins Geschehen mit hineingenommen wird. Zum Beispiel, wenn der Autor die Leute im Originalton zitiert.
Bei welchen Themen bietet sich die Reportage an?
Gabriele Wenng-Debert: Wenn ich zum Beispiel eine Gruppe in der Pfarrei vorstelle. Die Malteserjugend, die ich bei ihrer Übung in Gröbenzell besucht habe oder unsere Laienschauspielbühne, die der Pfarrei angegliedert ist. Dann ist es naheliegend eine Reportage zu machen.
Warum?
Gabriele Wenng-Debert: Weil ich mit der Reportage Eindrücke wiedergeben und den sinnlichen Gesamteindruck vermitteln kann.
Es gibt den Ausspruch „Die Themen liegen auf der Straße“. Wie finden Sie die Themen für Ihre Reportagen in der Pfarrei?
Gabriele Wenng-Debert: (lacht) Ich gehe immer mit dem Pfarrbriefmagazin schwanger. Ich schaue, was allgemein ansteht, gesellschaftlich oder im Ort. Ich sammle Artikel aus verschiedenen Zeitschriften, Broschüren und Flyern und mache mir Notizen, zum Beispiel bei Vorträgen. So ergeben sich viele Themen und mehrere Themenkomplexe. Ich überlege mir, welche Artikel ich dazu machen könnte und schicke alles vor der Redaktionssitzung herum. Wir machen ein gemeinsames Brainstorming und einigen uns auf das Titelthema und Artikel, die dazu passen.
Theorie und Praxis liegen manchmal weit auseinander. Nicht alle Pläne lassen sich realisieren.
Gabriele Wenng-Debert: Während die Artikel entstehen, ändert sich immer mal wieder etwas. Weil ich zum Beispiel niemanden finde, der den Artikel schreibt. Oder, weil ich keinen Interviewpartner habe, der Rede und Antwort steht. Oder, weil mir weitere, andere Gedanken kommen.
Bettina Thöne: Wenn sich Pläne nicht verwirklichen lassen, besprechen wir im Team, wie wir weiter vorgehen.
Aber, wenn ein Thema feststeht, beginnen Sie mit der Vorbereitung.
Gabriele Wenng-Debert: Die Vorbereitung ist teils aufwändig. Sie müssen einen Termin mit der Gruppe ausmachen, über die Sie eine Reportage schreiben möchten und müssen alles absprechen.
Bettina Thöne: Und Sie müssen sich vorher informieren, damit Sie wissen, welche Fragen Sie stellen wollen.
Die Vorrecherche. Wie sieht die aus?
Bettina Thöne: Mir persönlich helfen Anregungen von außen. Darum informiere ich mich im Internet oder in Zeitschriften. Es gibt viele religiöse Zeitschriften, zum Beispiel „Christ in der Gegenwart“ oder „JESUITEN“. Da sind sehr gute Artikel drinnen.
Wie entstehen die Fragen, die Sie stellen?
Bettina Thöne: Manchmal finde ich Interviews zu meinem Thema. Wenn ich eine Frage lese, fällt mir ein, was mich noch interessieren würde.
Gabriele Wenng-Debert: Ich gehe davon aus, dass das, was mich selbst interessiert, auch andere interessiert. Ich befasse mich intensiv mit dem Thema und überlege mir im Voraus Fragen. Während des Gesprächs komme ich eventuell auf weitere Punkte.
Das Schöne an der Reportage ist, dass sich der Reporter aus seinem Schreibtischstuhl schwingt, sich sein Notizbuch schnappt, ein Diktiergerät und einen Fotoapparat und hinaus zieht in die Gemeinde. An den Ort des Geschehens. Und live dabei ist.
Gabriele Wenng-Debert: Ja, bei der Laienbühne bin ich zu einer Probe gegangen, damit ich in der Materie drinnen bin.
Eindrücke aufsaugen, Details beobachten, Notizen machen, Interviews führen - pure Reizüberflutung.
Bettina Thöne: Das ist schon ein bisschen viel auf einmal. Aber oft gehen wir gemeinsam zu Veranstaltungen oder Interviewpartnern. Dann kann einer die Fotos machen. Zur „Fridays for future-Demonstration“ sind wir zum Beispiel zu zweit gegangen. Gabriele hat in der S-Bahn Jugendliche angesprochen und ich habe Fotos gemacht.
Für Ihre Reportage brauchen Sie Hauptprotagonisten, Interviewpartner. Wie gelingt es Hauptpersonen für den Artikel zu gewinnen?
Gabriele Wenng-Debert: Ich überlege, an wen ich herankommen könnte. Am besten ist es, wenn es eine Ansprechperson vor Ort gibt. Mit der Zeit hat man sowieso viele Kontakte. Beim „Fridays for future“-Artikel war es mir zum Beispiel wichtig, junge Leute zu interviewen, um zu vermitteln, dass die Jugendlichen nicht zur Demo gehen und schreien, sondern dass sie etwas für den Umweltschutz tun. Über Kontakte bin ich an eine Praktikantin bei der evangelischen Kirche gekommen, die auf die Demos geht. Die habe ich angesprochen.
Zeichnen Sie die Interviews auf?
Gabriele Wenng-Debert: Ich schreibe mit und lasse auf dem Handy die Audiofunktion laufen. Sicherheitshalber, damit ich die Informationen gespeichert habe. Ich bespreche das vorher mit den Interviewpartnern. Die Aufnahme ist nur für mich.
Schreiben Sie die Audiodateien zu Hause ab?
Gabriele Wenng-Debert: Es gibt Personen, die reden wie ein Wasserfall und druckreif. Da höre ich mir die Datei zu Hause noch einmal an und schreibe parallel mit. Das ist aber die Ausnahme.
Was ist der Regelfall? Wie gelingt es Ihnen, Ihre Gedanken, Eindrücke, Notizen zu ordnen?
Gabriele Wenng-Debert: Ich hacke mein Handgeschmiertes in den PC und drucke es mir aus. Wenn ich es in Papierform neben mir liegen habe, tue ich mir leichter, daraus die Reportage zu formulieren. Die Audiodatei benutze ich nur, wenn ich im Zweifel bin.
Anschließend sitzen Sie vor einem weißen Blatt Papier, das darauf wartet beschrieben zu werden.
Gabriele Wenng-Debert: Bei der Reportage über die Malteserjugend habe ich überlegt, was mich interessieren würde. Ich habe mein eigenes Brainstorming gemacht, um mich mit dem Thema intensiv zu befassen. Damit war ich schon mitten in der Materie.
Bettina Thöne: Ich überlege mir, welche Leute lesen das Magazin? Was lesen diese Leute gerne? Was könnte sie interessieren? Und wie muss ein Text sein, damit ich ihn gerne lese?
Der Einstieg sollte etwas Ungewöhnliches, etwas Witziges, Verblüffendes, Überraschendes sein. Etwas, das den Leser fesselt, neugierig macht, hineinzieht in den Text.
Gabriele Wenng-Debert: Ich versuche meist einen kurzgeschichtenartigen Einstieg zu schaffen. Damit der Leser gleich in der Geschichte drinnen ist, mitgenommen wird und Lust hat weiter zu lesen. Ich würde sagen, dieser spontane Einstieg ist etwas ganz Wesentliches.
Wie bauen Sie die weitere Reportage auf? Haben Sie einen roten Faden?
Gabriele Wenng-Debert: Ich versuche die Reportage am szenischen Einstieg aufzubauen und immer wieder persönliche Eindrücke, die ich bei meinem Besuch als Außenstehende gemacht habe, mit aufzunehmen und wiederzugeben. Das eigene, was ich selbst empfunden oder erfahren habe mit dem, was mir die Interviewpartner dort erzählt haben zu verbinden. Bei meinem Artikel über die Malteserjugend schreibe ich zum Beispiel, wie die Gruppe funktioniert. Bei der Laienschauspielgruppe vermittle ich den Probeneindruck.
Bettina Thöne: Vieles ergibt sich im Schreiben.
Sie verwenden in Ihren Reportagen häufig die Ich-Form. Ein besonderes Stilmittel.
Gabriele Wenng-Debert: Ja, den Artikel über „Fridays for future“ habe ich in der Ich- oder Wir-Form geschrieben. Dadurch kann ich das, was ich persönlich erlebt habe, betonen.
Der Schluss der Reportage ist häufig eine szenische Klammer. Das bedeutet, dass der Autor an die Szene anknüpft, mit der er die Reportage begonnen hat.
Gabriele Wenng-Debert: Ja, am Ende der Reportage versuche ich die Geschichte mit einer szenischen Klammer rund werden zu lassen. Beim „Fridays for future“-Artikel habe ich mit der Demonstration angefangen, habe dann zwei Gespräche mit jungen Frauen eingebracht und bin am Ende wieder auf die Demonstration zurückgekommen.
Klingt nach jeder Menge Arbeit.
Gabriele Wenng-Debert: Sie sollten sich schon Zeit nehmen. Der „Fridays for future“-Artikel, der ging relativ schnell, weil ich gefühlsmäßig so dabei war. Der floss aus mir heraus.
Was bedeutet das konkret? Wie viele Stunden Arbeit sind das?
Bettina Thöne: (überlegt) Sehr schwer zu sagen. Zwei, drei Stunden dauert das Schreiben bei mir auf jeden Fall.
Gabriele Wenng-Debert: Sie müssen einberechnen, dass Sie einen Termin ausmachen und absprechen müssen. Sie müssen zu diesem Termin hingehen. Sie müssen die Reportage schreiben. Sie müssen das Interview, das Sie geschrieben haben mit dem Interviewpartner abstimmen. Es sind schon einige Stunden, aber es ist eine Erfahrungssache. Je öfter Sie eine Reportage schreiben, desto schneller geht es. Sie wissen: Wie fange ich an? Wo steige ich ein?
Warum lohnt sich dieser Aufwand? Was ist in Ihren Augen der große Vorteil der Reportage?
Gabriele Wenng-Debert: Ich bin unmittelbar drinnen im Geschehen und erzähle etwas. Die Reportage ist eine Geschichte. Ich denke, so etwas liest sich immer besser, als Fakten oder eine sachliche Abhandlung.
Viele Pfarrbriefredaktionen schrecken vor Reportagen zurück. Sagen, das können nur ausgebildete Journalisten.
Gabriele Wenng-Debert: Ich habe mir alles autodidaktisch angeeignet. Ich bilde mich weiter. Ich selbst lese zum Beispiel das „andere Zeiten“-Heft oder „chrismon“ und schaue, wie die Sachen aufgemacht sind, welche Artikel gut sind, warum sie gut sind. Ich versuche das zu analysieren.
Dann sind Sie von Beruf keine Journalistinnen?
Gabriele Wenng-Debert: Nein, überhaupt nicht. Ich schreibe gerne. Das Schreiben war immer meine große Leidenschaft. Ich schreibe sehr lange für unseren Pfarrbrief.
Bettina Thöne: Das geht mir genauso. Ich bin seit 2002 im Redaktionsteam. Und ich habe einmal ein Praktikum gemacht und einige Artikel für die Münchner Kirchenzeitung geschrieben.
Was fasziniert Sie am Schreiben?
Bettina Thöne: Ich liebe das Schreiben, weil ich mir Zeit lassen kann, genau die Worte zu finden, die ausdrücken, was ich mitteilen will. Und, weil ich die ganze Vielfalt nutzen kann, die die Sprache bietet.
Gabriele Wenng-Debert: Es macht richtig Spaß, weil ich mich mit Dingen befasse, mit denen ich mich sonst nicht befassen würde. Ich bekomme Einblicke und lerne Leute kennen, wenn ich Interviews führe. Das ist interessant und bereichert mich sehr.
Was ist Ihr Tipp für andere Redaktionen?
Bettina Thöne: Schauen Sie sich an, wie Artikel in den Zeitungen geschrieben sind.
Gabriele Wenng-Debert: Probieren Sie es einfach. Natürlich gibt es ein Handwerkszeug, aber die Erfahrung macht es. Je öfter Sie eine Reportage schreiben, desto leichter fällt es Ihnen.