„Frauenrechte stärker gewichten“

Ethikerin erläutert Kommissions-Vorschlag zu Paragraf 218

Opposition und die Katholische Kirche haben den Vorschlag einer Kommission der Regierung zur Reform von Paragraf 218 (Schwangerschaftsabbruch) kritisiert. Ethikerin Christiane Woopen ist Kommissionsmitglied und erklärt, warum sie Änderungen für geboten hält.

DOMRADIO.DE: Schwangerschaftsabbrüche sollen entkriminalisiert werden. Das schlägt die Kommission der Bundesregierung vor. Wie sehen Sie als Ethikerin den Vorschlag?

Prof. Dr. med. Christiane Woopen (Professorin für Life Ethics an der Universität Bonn und Mitglied der Arbeitsgruppe 1 der Kommission der Bundesregierung zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin): Ich habe den Vorschlag so auch mit abgestimmt. Unsere Empfehlungen sind einstimmig, auch wenn nicht die Einschätzungen zu allen Einzelfragen jeweils einstimmig sind.

Aus ethischer Perspektive, und das ist mir wirklich wichtig, kann man zum Schutz des Embryos und Fetus mit guten Gründen unterschiedliche Auffassungen haben. Dazu zählt die Auffassung, dass schon die Zygote, also die verschmolzene Ei- und Samenzelle unter dem Schutz der Würde steht und auch ein vollumfängliches Lebensrecht hat. Aus ethischer Perspektive kann man das vertreten, aber man kann auch aus ethischer Perspektive mit guten Gründen vertreten, dass der Lebensschutz und der Würdeschutz, den der Staat dem Ungeborenen gegenüber schuldet, mit der Entwicklung während der Schwangerschaft ansteigt.

Und der muss ja schließlich auch mit den Rechten der Schwangeren und der Frau in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Insofern sagen wir: Vor dem Hintergrund dieses Spektrums möglicher Auffassungen muss man bei einem demokratisch freiheitlichen Staat, der ja auch weltanschaulich sich nicht nur auf eine bestimmte Seite schlagen kann, die Frauenrechte schon stärker gewichten als es in der Vergangenheit, in den letzten drei Jahrzehnten und davor, erfolgt ist.

Das sagen im Übrigen auch völkerrechtliche Dokumente, das kann man in unserem Bericht nachlesen. Diese Texte bringen sehr wohl zum Ausdruck, dass die Legalisierung des Abbruchs – in der frühen Phase der Schwangerschaft zumindest – geboten ist.

DOMRADIO.DE: Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, sagt, dieser Vorschlag würde das Ende eines klaren Lebensschutz-Konzeptes bedeuten. Geht dann die Entkriminalisierung doch auf Kosten des ungeborenen Lebens?

Christiane Woopen: Dieser Überzeugung sind wir nicht. Ich kann die Äußerungen von Frau Stetter-Karp vollkommen verstehen – vor dem Hintergrund eines christlichen Menschenbildes und einer Auffassung, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes und von Gott gewollt ist. Diese Sicht ist vollkommen legitim.

Nur man kann diese Auffassung nicht so verbindlich für alle Menschen in diesem Land machen, dass sie demgemäß leben müssen, dass man also Schwangeren eine Pflicht zum Austragen einer ungewollten Schwangerschaft auferlegt und ihnen nicht die Möglichkeit gibt, in diesen frühen Phasen diese Schwangerschaft abzubrechen. Das mag man im Einzelfall natürlich sehr bedauern, und das kann man auch ethisch für sich persönlich anders entscheiden. Aber hier geht es ja um die Frage: Wozu verpflichtet der Staat im Grundsatz alle Frauen in diesem Land?

DOMRADIO.DE: Und doch ist ja ein Argument immer wieder, dass man sagt: Die bestehende Regelung gibt es nun schon einige Zeit und hat sich nach dem Eindruck nicht nur von der katholischen Kirche, sondern auch von der Union, bewährt. Warum war denn da jetzt unbedingt eine Reform notwendig?

Christiane Woopen: Nun, das hatte die Kommission nicht zu entscheiden. Das war eine Entscheidung der Politik, auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung, zu sagen, wir wollen diesen Paragrafen 218 noch einmal überdenken. Das ist ja nach drei Jahrzehnten, und wie gesagt auch vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Entwicklungen und Entwicklungen in anderen Ländern, durchaus legitim.

Das Problem besteht darin, dass sich zum einen seit der Einsetzung der Kommission weltpolitisch natürlich so viel getan hat, dass man nun durchaus auch politische Schwerpunkte anders setzen kann. Wir hoffen natürlich, dass die Ergebnisse der Kommission, die immerhin in über 600 Seiten ausführlich und in sehr interdisziplinärer und auch durchaus zum Teil kontroverser Arbeit zusammengestellt worden sind, in der Politik berücksichtigt werden. Wir hatten durch die Rückmeldungen der Ministerin und der Minister den Eindruck, dass das aufgenommen wird.

Zudem: Eine gesellschaftliche Befriedung gab es durch den Kompromiss ja nicht an allen Orten. Es gab zwar keine große gesellschaftliche Debatte in den letzten Jahren. Aber wenn Sie mit den Beteiligten sprechen, also mit den Schwangeren, mit den Ärztinnen und Ärzten, mit Beratungsstellen und natürlich auch mit denen, die sich für Frauenrechte einsetzen, dann kann man von gesellschaftlichem Frieden nicht sprechen. Und einen „Frieden“ auf Kosten der berechtigten Schutzinteressen auch geborener Menschen, in diesem Fall der Schwangeren und der Frauen, kann man denen ja nicht einfach überstülpen.

DOMRADIO.DE: Sie haben eben davon erzählt, dass die Abstimmungen in Ihrer Kommission dann letztendlich einstimmig waren. Von der katholischen Kirche war ja kein offizieller Vertreter in der Kommission. Wie breit haben Sie denn das Meinungsspektrum in dieser Kommission erlebt? Gab es tatsächlich auch einige Punkte, bei denen kontrovers diskutiert wurde oder war – zugespitzt formuliert – schon die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein bisschen eindeutig, in welche Richtung es von Seiten der Politik gehen soll?

Christiane Woopen: Ja, dieser Vorwurf ist jetzt leider oft zu hören. Das erinnert mich immer daran, dass man dann, wenn man keine Sachargumente hat, eben denjenigen kritisiert, der die unerwünschten Argumente vorträgt. Das halte ich für durchsichtig. Wir haben alle Auffassungen berücksichtigt. Wir haben im Übrigen alle Fraktionen eingeladen und mit ihnen gesprochen.

Wir haben über 60 Verbände und Interessensgruppen und auch die Kirchen und Glaubensgemeinschaften eingeladen, uns Stellungnahmen zu schicken, was sie auch getan haben. Und wir haben auch mit etlichen von ihnen eine ganz ausführliche Anhörung und einen Austausch durchgeführt.

Das heißt, wir haben da die Breite des gesellschaftlichen Spektrums durchaus berücksichtigt. Wenn ich davon spreche, dass auch in der Arbeitsgruppe kontrovers diskutiert wurde, dann hat das damit zu tun, dass zum Beispiel in den Empfehlungen ja auch Ermessensspielräume für den Gesetzgeber geschildert werden. Wir machen ja nicht zu all den vielen Fragen, die damit verbunden sind, eindeutige Vorschläge und empfehlen eine ganz bestimmte Regelung, sondern wir zeigen auch Ermessensspielräume für den Gesetzgeber auf.

Innerhalb dieser Ermessensspielräume würden sich dann einzelne Mitglieder auch anders verorten, beispielsweise bei der Beratungspflicht. Da sagt die Arbeitsgruppe, dass der Gesetzgeber einen Ermessensspielraum hat, ob er diese Beratungspflicht beibehalten möchte oder abschaffen möchte.

Das Gleiche gilt für die Wartefrist nach der Beratung bis zur Durchführung des Abbruchs. Einzelne in unserer Arbeitsgruppe würden eher für eine Beibehaltung der Beratungspflicht plädieren und andere wären für eine Abschaffung der Beratungspflicht. Die Gründe dafür kann man in diesem Bericht sehr gut nachlesen und sich dann eine eigene Meinung bilden.

DOMRADIO.DE: Es sind ja Empfehlungen, die da ausgesprochen wurden. Wie sollte es Ihrer Meinung nach nun weitergehen? Sollte es so rasch wie möglich einen entsprechenden Gesetzentwurf geben, der sich daran orientiert, oder wäre Ihnen als Ethikerin doch lieber, jetzt noch eine lange und breite gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema zu haben?

Christiane Woopen: Mir wäre es natürlich immer lieb, es gäbe eine breite und in dem Fall hoffentlich auch nicht polarisierende, sondern respektvolle, gesellschaftliche Diskussion auf der Grundlage von Informationen, Fakten und auch in Transparenz der weltanschaulichen Hintergründe, unter denen diese Diskussion geführt wird.

Wir haben allerdings nur noch eine begrenzte Zeit in dieser Legislaturperiode. Das heißt, wenn sich jetzt die Regierung und auch das Parlament und die gesellschaftliche Debatte in einer vernünftigen Weise gleichzeitig vorwärts bewegen und diese Diskussion sehr lebendig, aber respektvoll aufgreifen, dann kann ich mir vorstellen, dass eine Gesetzesnovelle noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden wäre.

Es gibt ja auch schon den Plan von Politikern, die gegen eine solche Legalisierung wären, zu sagen, dann würde man eben vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das wäre drei Jahrzehnte nach dem letzten Urteil sogar ausgesprochen interessant. Denn die völkerrechtliche Situation hat sich ja zu diesem Thema durchaus sehr verändert in den letzten Jahren.

Das Bundesverfassungsgericht ist zwar daran nicht gebunden, aber es ist jedenfalls von der Verfassung her dazu aufgefordert, die Grundrechte in unserer Verfassung völkerrechtsfreundlich auszulegen. Das heißt, das Bundesverfassungsgericht müsste diese neuen rechtlichen und auch die neuen tatsächlichen Sachverhalte durchaus zur Kenntnis nehmen. Da wäre es doch hochinteressant zu hören, was das Bundesverfassungsgericht dann zu einer Gesetzesnovelle sagen würde.

Interview: Mathias Peter, (16.04.2024), www.DOMRADIO.DE, In: Pfarrbriefservice.de 

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Bischof Bätzing: Auseinandersetzung in ethischer und juristischer Perspektive erforderlich

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Text: Interview: Mathias Peter (16.04.2024), www.DOMRADIO.DE
In: Pfarrbriefservice.de