Warum warten Christen immer noch?

In der Spannung zwischen "schon" und "noch nicht" gilt es zu fragen, in welcher Gestalt Jesus uns heuer begegnen will

Warum feiern wir eigentlich immer noch Advent? Der Erlöser ist doch vor 2000 Jahren schon gekommen. Viele Adventlieder erwecken den Eindruck, als stünde das alles noch bevor. "Tauet Himmel den Gerechten ..." - Der Himmel hat sich doch längst aufgetan! "Aus hartem Weh die Menschheit klagt ... wann kommt, der uns ist zugesagt?" - Unseren "älteren Brüdern", den Juden, sagen wir, dass der Messias schon gekommen ist, in Jesus, der die Dämonen austrieb, Kranke heilte und die Frohe Botschaft vom Reich den Armen brachte. Worauf warten wir eigentlich noch?

Das Wesen des Christseins liegt in der Spannung zwischen "schon" und "noch nicht". Wir leben in einer erlösten Welt und merken doch, wie viel noch fehlt. Alle Träume von einer besseren Welt, jeglicher Idealismus mit dem Einsatz bester Kräfte deuten auf jene unstillbare Sehnsucht des Menschen hin, dass noch etwas aussteht, noch etwas kommen wird.

Advent ist vor allem eine Zeit der Kinder. Da erwarten sie die Erfüllung ihrer Wünsche, da scheint viel mehr möglich als sonst im Jahr. Es ist nicht verwunderlich, dass sich fast alle Menschen in dieser Zeit an ihre Kindheit erinnern. Wir sollten wie die Kinder werden, und Großes, Unfassbares erwarten. Dass etwa verletzte Beziehungen gegen alle düstere menschliche Erfahrung doch wieder geheilt werden können. Dass man sich selbst, auch noch im vorgerückten Alter, ändern kann und auch anderen dazu verhelfen kann. Dass mitten im Scheitern oder in einer unheilbaren Krankheit sich dennoch Sinn einstellt. Dass dieses Leben gerade im Sterben nicht auf ein Ende, sondern auf Vollendung zugeht.

Jesus war einmal da, vor ca. 2000 Jahren. Man könnte die beneiden, die ihn sehen, hören, umarmen durften. Aber heute? Er sagt es selbst: "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." Nur in Erinnerung? Nur in Symbolen?

Jesus macht es konkreter. "Wer ein Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf". - "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." In den Tagen vor Weihnachten gilt es zu suchen, in welcher Gestalt Jesus uns heuer begegnen will. […]

Worauf sollen wir im Advent warten? Dass Gott uns näher kommt. Vielleicht wird uns dabei bewusst, wie sehr er selbst schon auf uns wartet, voller Sehnsucht.

Helmut Krätzl, STADT GOTTES Dezember 2002, www.stadtgottes.de
Helmut Krätzl ist emeritierter Weihbischof der Erzdiözese Wien.

zum vollständigen Text: http://www.steyler.eu/svd/medien/zeitschriften/stadt_gottes_AT/2002/2002_12/Advent-Worauf-warten-wir-noch.php

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Text: Weihbischof em. Helmut Krätzl
In: Pfarrbriefservice.de