So geht es dem, der nur auf seinen Gewinn aus ist …

Das Gleichnis vom törichten reichen Kornbauern

Jesus Stellung zu Habgier und Wohlstand wird im Kontext der Nachfolge und des Reiches Gottes von der Menge angefragt. Und der Mann aus Nazareth greift wie an so vielen Stellen des Zweiten Testaments auf ein Gleichnis zurück, um klar zu machen, worum es geht. Es steht im Lukas-Evangelium, Kapitel 12, Verse 15 bis 21. Jesus erzählt aus dem Leben, den alltäglichen Lebenserfahrungen der Menschen. Er erzählt von einem Spekulanten der damaligen Zeit, der sich ganz im Sinne der kapitalistischen Wirtschaftsweise und der eigenen Profitmaximierung verhält.

Ein Kornbauer hat reiche Ernte eingefahren, eine Ernte, die ihm aufgrund des guten Wetters zugefallen ist. Heute würden wir von einem „Windfall-Profit“ reden. Er hat Samen ausgesät, wie all die Jahre vorher, nicht mehr und nicht weniger, aber diesmal haben überaus günstige Faktoren „mitgespielt“, die er nicht beeinflussen kann, die ihm „zufallen", die außerhalb seiner wirtschaftlichen Planungshoheit liegen: Wind, Wetter, der Boden ... Aus seinem eingesetzten Grundkapital von Samen und Arbeit hat er einen Mehrwert erzielt, mehr jedenfalls als er hätte unter normalen Umständen erwarten können.

Das Gesetz: Der Überfluss ist den Armen geschuldet

Im Ersten Testament heißt es im 2. Buch Mose: "Den Ertrag deines Feldes und den Überfluss deines Weinberges sollst du nicht zurückhalten" (Ex 22,28). Und der Prophet Jesaja droht den Besitzenden: „Weh denen, die ein Haus zum andern bringen und einen Acker an den andern rücken, bis kein Raum mehr da ist und sie allein das Land besitzen!" (Jes 5,8). Gemäß dem mosaischen Gesetz ist der Überfluss den Armen geschuldet. Und Gott selbst ist es, der für dieses Recht der Armen eintritt. In dem Gleichnis, das Jesus erzählt, handelt der Kornbauer nicht nach den Gesetzen der Thora, sondern nach den „Gesetzen" des Marktes. Er verteilt den Überfluss der Ernte nicht an die Armen, sondern nutzt den „Windfall-Profit“ für eine kapitalintensive Großinvestition, die sich in Zukunft bezahlt machen soll …

Investition, Gütererweiterung und Spekulation

Der Kornbauer investiert in eine Standortkonzentration und in die Modernisierung seines Lagerwesens. Er lässt seine alten Scheunen von den dort gelagerten Vorräten räumen und baut neue, große Scheunen, in denen er die alten Vorräte und die neue Ernte einlagern kann. Nach den Gesetzen des Marktes handelt er vernünftig: Er investiert, um einen höheren Gewinn zu erzielen, Rendite auf das eingesetzte Kapital. Die Menge ist so reichlich, dass er einlagern muss, wenn der Preis nicht einbrechen soll. Das Gesetz des Marktes diktiert, dass bei großen Mengen, die auf den Markt geworfen werden, die Preise fallen. Dem kommt der Kornbauer zuvor, indem er einlagert, Getreide am Markt zurückhält, wartet, bis sich die Preise erholen und in die Höhe bewegen. Dann will er verkaufen, erst dann. Darum baut er Lagerkapazitäten aus, tätigt große Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen. Er spekuliert auf höhere Getreidepreise in absehbarer Zukunft am Markt. Die Knappheit wird die Preise irgendwann wieder in die Höhe treiben, seinen Gewinn, seine Rendite steigern. Darauf kann er sich verlassen und sich nun ausruhen. Er muss nichts tun, denn der Markt von Angebot und Nachfrage arbeitet für ihn, für ihn als Kapitalisten und Spekulanten. Nicht mal habgierig muss er sein, sondern nur vernünftig nach den Gesetzen des Marktes handeln.

Die Investition geht nicht auf …

Den Leuten, die Jesus umringen, ist dieses Verhalten als alltäglicher Mechanismus der Ausbeutung und Spekulation ebenso vertraut wie uns heute die allabendlichen Börsenkurse in den Nachrichten. Der Evangelist Lukas berichtet, wie oftmals an anderen Stellen seines Evangeliums, von keiner Nachfrage aus der Menge. Das Gleichnis ist einsichtig, klar, lebenspraktisch. Es spiegelt die alltägliche Unrechtserfahrung der Menschen wieder: den Verstoß gegen die Rechte der Armen durch die Reichen.

Gegen diese alltägliche Lebenserfahrung setzt Jesus den "anderen Ausgang" der Geschichte: Gott selbst greift in die Geschichte ein, fordert das dem reichen Kornbauern geschenkte Leben zurück, Leben, das ihm geschenkt ist, um das Gesetz zu halten, den Überfluss den Armen zu geben. Nicht so, wie es immer ist, wird es bleiben, sondern Gott wendet die Geschichte. Der reiche Kornbauer kommt mit seinen "Machenschaften" der Kapitalverwertung nicht "durch". Ihm wird das Wichtigste genommen - sein Leben.

Reichtum des Herzens

Reich ist der, der die Gesetze einhält. Der reiche Kornbauer hat sein Leben verwirkt. Er hat unter dem Diktat der Habgier und Profitvermehrung nicht den Überfluss den Armen gegeben, sonst wäre er noch am Leben ... Er hat diese Chance verpasst. Wahrer Reichtum sammelt sich nicht in neuen Scheunen und durch Spekulationsgeschäfte, sondern durch eine radikale Umwertung. Jesus wendet die Vorstellung von Reichtum und Wohlstand "antithetisch", radikalisiert für seine Jüngerinnen und Jünger das mosaische Gesetz: Nicht mehr nur vom Überfluss soll den Armen gegeben werden, sondern aller Besitz: "Verkauft euren Besitz und gebt das Geld den Armen! Schafft euch Geldbeutel an, die nicht löchrig werden und legt euch einen unerschöpflichen Reichtum im Himmel an, wo kein Dieb ihn findet und keine Motten ihn fressen. Denn wo euer Reichtum ist, da wird auch euer Herz sein." (LK 12,33-34)

Schon in den urchristlichen Gemeinden, für die der Evangelist Lukas schreibt, hat diese Radikalität zu erheblichen Diskussionen geführt. Bis heute ist das Gleichnis vom reichen Kornbauer eine "Antigeschichte" zur kapitalistischen Profitmaximierung. Und noch mehr als das: Es stellt die Frage nach dem wahren Reichtum, nach dem Ort, dem wir auch heute unser Herz verschreiben. Was ist Reichtum? Was macht das Leben aus? Was heißt heute, den Armen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? Wie kann eine Wirtschaft aussehen, die den Kornbauern und die Armen "rettet"?

Dr. Michael Schäfers
Quelle: Gut wirtschaften. Nachhaltig leben und arbeiten. Ein Arbeits- und Lesebuch der KAB. 2015. www.kab.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Dr. Michael Schäfers, www.kab.de
In: Pfarrbriefservice.de