Meine Wutsaite!

… und die Wahlen – ein Kommentar

Ich stell mir mal in meiner Fantasie vor, mein Gemüt ist ein Instrument mit vielen Saiten, wie z.B. eine Gitarre, ein Klavier oder eine Harfe. Jede dieser Saiten hat einen besonderen Namen. Die eine heißt Freude, die andere Ausgelassenheit, eine nennt sich Zuversicht oder Optimismus, usw. Dann gibt es aber auch Saiten, die heißen Angst, Neid, Gier, Verzweiflung, Wut… Je nachdem, welche Saiten gerade in Schwingungen versetzt werden, werde ich von der Umgebung wahrgenommen und, wenn ich den Schwingungen nicht extrem ausgesetzt bin, so kann ich mich selbst dabei beobachten und auch steuern, vielleicht, falls nötig, die jeweilig grellste und unkultivierteste Saite etwas dämpfen.

Die Wutsaite macht es einem dabei nicht leicht. Sie ist kaum mehr unter Kontrolle zu kriegen, wenn sie in Schwingungen versetzt wird. Und dies geschieht leider allzu oft von außen, in den Sozialen Medien, in hetzerischen Boulevardartikeln und auch durch so manche Politiker, die wissen, wie man in vielen Menschen Wut entfachen kann.¹ Wie viel Selbstkontrolle und Verantwortung geben wir dann an diese machtvollen Verführer ab, wenn wir ihnen gestatten, unsere Wutsaiten intensivst zu bedienen?

Letztens diskutierte ich im Supermarkt mit einem wildfremden Mann, der meinte, alles werde immer und überall schlechter. Ich konnte ihm bei vielem nicht widersprechen, denn viele Sachen laufen ja gerade nicht optimal. Aber am Ende fragte ich ihn trotzdem, warum er all diesen miesen Dingen so viel Macht über sich gestatte und er sich von ihnen runterziehen lasse.

Mich erinnert das an die Geschichte von dem alten Cherokee-Indianer, der seinem Enkel erklärt, dass zwei Wölfe in jedem Menschen wohnen. Einer ist böse. Er ist der Zorn, der Neid, die Eifersucht, die Sorgen, der Schmerz, die Gier, die Arroganz, das Selbstmitleid, die Schuld, die Vorurteile, die Minderwertigkeitsgefühle, die Lügen, der falsche Stolz und das Ego. Der andere ist gut. Er ist die Freude, der Friede, die Liebe, die Hoffnung, die Heiterkeit, die Demut, die Güte, das Wohlwollen, die Zuneigung, die Großzügigkeit, die Aufrichtigkeit, das Mitgefühl und der Glaube. Der Enkel dachte einige Zeit über die Worte seines Großvaters nach, und fragte dann: „Welcher der beiden Wölfe gewinnt?“ Der alte Cherokee antwortete: „Der, den du fütterst.“

Wir schreiten auf Wahlen zu. Achten wir auf unsere Wutsaiten, wenn wir unser Kreuzerl machen und auch, welchen Wolf wir dabei in uns und in der Gesellschaft füttern!

Gerhard Bila
Quelle: Pfarrzeitung „das gespräch“, Pfarre Schwechat, In: Pfarrbriefservice.de

¹ Ich erinnere mich an ein Experiment im Physikunterricht, wie wir eine Stimmgabel angeschlagen haben und in einiger Entfernung eine andere, freistehende mitgeschwungen ist.

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Text: Gerhard Bila, Quelle: Pfarrzeitung „das gespräch“, Pfarre Schwechat
In: Pfarrbriefservice.de