Keine Zeit mehr, sich grenzenlos zu verausgaben

Interview mit Dr. Peter Abel zum Thema Burnout

Herr Dr. Abel, Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Phänomen „Burnout“. Was versteht man darunter?

Unter Ausbrennen (Burnout) verstehe ich eine Erschöpfung, die durch berufliche Überlastung entsteht und den ganzen Menschen erfasst. Man hat keine rechte Lust mehr, die Leistung schwindet, andere Menschen sind nicht mehr wichtig, die Spannkraft der Seele lässt nach.

Der Prozess des Ausbrennens ist schleichend: Müdigkeit dauert an, Energie geht verloren und die Stimmungen schwanken, am Ende stehen völlige körperliche und geistige Erschöpfung, Arbeitsunfähigkeit und Lethargie, manchmal sogar Depression.

Gibt es bekannte Faktoren, die das Risiko erhöhen, Burnout zu erleiden? Welche sind das?

Gefährdete Menschen sind Feuer und Flamme für ihren Job. Sie sind diejenigen, die voller Enthusiasmus und idealistisch in ihren Beruf gehen. Sie scheuen die Verantwortung nicht. Gleichzeitig gefährdet uns die Arbeitswelt: man grenzt Beruf und Privat nicht ab, gönnt sich keine Pausen und Zeiten der Muße. Die Anforderungen sind gestiegen. Die Tretmühle des Alltags treibt uns an. Es ist wie mit Schlüssel und Schloss: disponierte Personen treffen auf krank machende Umstände.

Wir leben heute in einer der freiesten Gesellschaften der Geschichte. Feudalherrschaft und Sklaverei kennen wir nicht mehr. Wie kommt es Ihrer Meinung nach überhaupt dazu, dass sich jemand bis zur völligen körperlichen und seelischen Erschöpfung verausgabt?

Wenn, dann versklaven wir uns selbst. Es gibt das Phänomen der interessierten Selbstgefährdung. Ich trage Verantwortung für meine Firma, bin selbstverantwortlich für das Ergebnis meiner Arbeit, quasi Mitunternehmer. Das führt zur Selbstausbeutung im Wissen um die eigene Gefährdung: lange und hart arbeiten, sich schlecht ernähren, keine Pause machen, mich übernehmen ... das ist gesellschaftsfähig.

Der Arbeits- und Lebensalltag des modernen Menschen ist heutzutage geprägt von sehr hohen Leistungsanforderungen und Erwartungen. Wie können wir dem gerecht werden, ohne dabei selbst unterzugehen?

Wir selbst können etwas tun: Zeiten der Entspannung und inneren Ruhe haben, Pausen im Arbeitsalltag nutzen, nach anstrengenden Begegnungen auf Abstand gehen, Unterstützung durch andere suchen, Zeit für mich nehmen. Aber auch die Unternehmen stehen in der Verantwortung: Sie können Mitarbeitende für ihre Gefährdungen sensibilisieren und auf betrieblichen Gesundheitsschutz achten. Auch in der Arbeit gilt: gemeinsam geht´s besser!

Sie geben zum Thema Burnout regelmäßig Seminare. Was sind das für Menschen, die daran teilnehmen und was wollen sie lernen?

Es sind viele Menschen in den besten Lebensjahren zwischen 40 und 50, die Verantwortung wahrnehmen, oft viel erreicht haben und sich nun fragen: „Kann es das gewesen sein?“ Sie suchen Neuorientierung neben und in ihrer Arbeit und wollen Sinnvolles erreichen. Sie haben keine Zeit mehr, sich grenzenlos zu verausgaben. Oft gehen sie sehr bewusst konkrete, lebensnahe Schritte, um zufrieden arbeiten zu können und verändern sich…

In Ihren Büchern ist die Rede von spirituellen Wegen aus dem Burnout. Was darf man sich darunter vorstellen?

Burnout hat eine spirituelle Dimension – die Seele des Menschen ist auch erschöpft. Die Wüstenmönche haben diese Erfahrung Akedia, Unlust am Leben, genannt und an ganz konkreten Beispielen festgemacht: man ist chronisch müde. Man bleibt nicht dran an einer Sache. Die anderen nerven nur. Am liebsten möchte man alles aufgeben. Man zweifelt am Glauben. Und als Hilfe benennen sie: Seine eigenen Grenzen, destruktiven Gedanken und inneren Antreiber kennen. Innere Ruhe erlernen. Geduld und Gelassenheit einüben. Mich als Geschöpf Gottes sehen und das, was ich tue, in diesem Vertrauen tun.

„Spirituell“: Klingt das nicht auf den ersten Blick abgehoben oder irgendwie vergeistigt? Inwiefern ist für Sie hier der Bezug zur konkreten Lebenswirklichkeit gegeben?

Spiritualität ist für mich immer geerdet, bewährt sich im Alltag. Thomas von Aquin hat das schon gewusst: wenn Du innerlich müde und erschöpft bist, dann nimm ein warmes Bad!

Eine schöne Vorstellung. Geht also darum, die inneren Signale wahrzunehmen und zu beachten?

Ja. Ein wesentlicher Aspekt, mit Belastungen und Stress umzugehen, ist, in Kontakt mit sich zu sein und auf sich zu achten.

Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben in den Dienst für andere stellen oder gestellt haben. Warum erlitt z.B. Mutter Theresa vermutlich nie ein Burnout-Syndrom?

Mutter Theresa erlitt trotz immenser Belastungen wohl keine Erschöpfung, weil sie in ihrer Berufung für die Armen einen tiefen Sinn sah. Sie war beim Helfen nicht frei von den Schattenseiten und Dunkelheiten des Lebens; wir wissen, dass sie lange Zeit furchtbare Gottesleere – keinen Burnout! – erlitt. Sie hatte zwei Anker: Gebet – Psychologen würden das ein starkes Glaubenssystem nennen – und ein starkes soziales Netz – ihre Schwestern.

Die Fragen stellte Christian Schmitt, Pfarrbriefservice.de

 

Zur Person:

Dr. Peter Abel ist Leiter der Arbeitsstelle für pastorale Fortbildung und Beratung im Bistum Hildesheim und Leiter eines kirchlichen Tagungshauses. Seit über zwei Jahrzehnten begleitet er Menschen in beruflichen Belastungssituationen und führt als Kursleiter in der Abtei Münsterschwarzach Seminare zum Thema Burnout durch.

Veröffentlichungen: Spirituelle Wege aus dem Burnout (Münsterschwarzach 2009); Keine Zeit für Burnout! Vom Arbeitsstress zur Herzensruhe (Münsterschwarzach 2012)

 

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Juni 2014

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Text: Christian Schmitt
In: Pfarrbriefservice.de