Kapitalismus - "an sich" gut? - "an sich" schlecht?

Eine Bewertung aus christlicher Sicht

Der Begriff "Kapitalismus" ist angesichts der Krisen der letzten Jahre wieder zu einer breiten Popularität gekommen. Allgemein bezeichnet er eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform, die auf dem privaten Eigentum an Produktionsmitteln und der Steuerung der Wirtschaft über den Markt beruht.

Bereits die erste päpstliche Sozialenzyklika "Rerum novarum" von Papst Leo XIII. von 1891 hat sich kritisch mit den Auswüchsen der kapitalistischen Wirtschaft der damaligen Zeit auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt stand die sogenannte "Arbeiterfrage". Das Kapital, so der Papst, habe sich in den Händen weniger angehäuft, während die große Menge verarme. Dies - verbunden mit anderen Faktoren - führe zu dem sozialen Konflikt, der nun zwischen Kapital und Arbeit ausgetragen werde. Leo XIII. lehnte wie auch seine Nachfolger die kapitalistische Wirtschaftsweise nicht grundsätzlich ab, benannte aber bereits in aller Deutlichkeit die verheerenden Auswirkungen einer Wirtschaftsweise, wenn dem Kapital der Vorrang eingeräumt wird. Auch beschrieb er bereits die asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Kapitalbesitzenden und Lohnabhängigen, die sich aus der grundlegenden Struktur der kapitalistischen Wirtschaftsweise ergeben.

Die Verkehrtheit des Kapitalismus

40 Jahre später versuchte die Sozialenzyklika "Quadragesimo anno" von Papst Pius XI. eine tiefergehende Durchdringung und Beurteilung des modernen Kapitalismus. Heute sind die Ausführungen dieses Papstes, an denen Oswald von Nell-Breuning maßgeblich mitgearbeitet hat, aktueller denn je. Die kapitalistische Wirtschaftsweise wird als "nicht in sich schlecht" bewertet, aber unter einen deutlichen Vorbehalt gestellt, der sich aus den Ergebnissen und Auswirkungen ergibt, die drastisch herausgestellt werden. So stellt der Papst fest, dass die Verkehrtheit der kapitalistischen Wirtschaftsweise da beginnt, wo "das Kapital die Lohnarbeiterschaft in seinen Dienst nimmt, um die Unternehmungen und die Wirtschaft insgesamt einseitig nach seinem Gesetz und zu seinem Vorteil ablaufen zu lassen, ohne Rücksicht auf die Menschenwürde des Arbeiters, ohne Rücksicht auf den gesellschaftlichen Charakter der Wirtschaft, ohne Rücksicht auf Gemeinwohl und Gemeinwohlgerechtigkeit." (QA 101)

Der moderne Kapitalismus wird in seinen Machtstrukturen kritisiert. Er ruft tiefe Machtkämpfe hervor, die zum Schaden des Gemeinwohls ausgetragen werden. Es lohnt sich, die Textstellen aktualisiert auf dem Hintergrund der jüngsten Finanzkrise zu lesen, denn der Papst führt aus: "Am auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt in den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen. Zur Ungeheuerlichkeit wächst diese Vermachtung der Wirtschaft sich aus bei denjenigen, die als Beherrscher und Lenker des Finanzkapitals unbeschränkte Verfügung haben über den Kredit und seine Verteilung nach ihrem Willen bestimmen. Mit dem Kredit beherrschen sie den Blutkreislauf des ganzen Wirtschaftskörpers; das Lebenselement der Wirtschaft ist derart unter ihrer Faust, dass niemand gegen ihr Geheiß auch nur zu atmen wagen kann. Diese Zusammenballung von Macht (...) ist das Eigentümliche der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung. Solch gehäufte Macht führt ihrerseits wieder zum Kampf, zu einem dreifachen Kampf: Zum Kampf um die Macht innerhalb der Wirtschaft selbst; zum Kampf sodann um die Macht über den Staat, der selbst als Machtfaktor in den wirtschaftlichen Interessenkämpfen eingesetzt werden soll; zum Machtkampf endlich der Staaten untereinander, die mit Mitteln staatlicher Macht wirtschaftliche Interessen ihrer Angehörigen durchzusetzen suchen und wieder umgekehrt zum Austrag zwischenstaatlicher Streithändel wirtschaftliche Macht als Kampfmittel einsetzen." (QA 105-108)

Finanzmarkt-Kapitalismus

"Quadragesimo anno" spricht damit bereits die systemische Transformation der kapitalistischen Wirtschaftsweise an, nämlich hin zum „Finanzmarkt-Kapitalismus", einen Begriff, den der Soziologe Paul Windolf eingeführt hat. Aufgrund der Machtstrukturen wird die "Realwirtschaft" immer unbedeutender, immer bedeutender werden demgegenüber die Finanzmärkte, die "Geldwirtschaft". […]

„Grüner“ Kapitalismus?

Aber nicht nur diese "Vermachtung" der Wirtschaft und die Transformation hin zum "Finanzmarkt-Kapitalismus" stellen die grundsätzliche Frage nach der Überlebensfähigkeit und Legitimität der kapitalistischen Wirtschaftsweise heute. Denn der Produktionsprozess ist in weiten Teilen so organisiert, dass in kurzer Zeit aus hochwertigen Rohstoffen Müll wird. Der "Stoffdurchsatz" der kapitalistischen Produktionsweise hat seine Grenzen überschritten. Trotz aller Beteuerungen, dass eine Wandlung in den systemischen Grenzen der kapitalistischen Wirtschaftsweise hin zu einer "grünen Marktwirtschaft" vorangetrieben werden könne, sprechen die Fakten bisher leider eine andere Sprache. Effizienzgewinne in Richtung einer grünen Wirtschaft - so notwendig und unverzichtbar sie auch sind - werden durch die fortschreitende Ausweitung der her- und bereitgestellten Menge an Waren und Dienstleistungen aufgefressen.

Reform der Eigentumsordnung und Würde der Arbeit

Was wir heute dringend brauchen, ist nicht nur eine Neuordnung des Geldsystems und ein restriktives Zurückfahren des "Finanzmarkt-Kapitalismus" durch gesetzgeberische Maßnahmen und effiziente Kontrollen. Längst geht es um mehr, nämlich um die Grundfesten der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Es geht um eine Reform der Eigentums(un)ordnung, von Grund und Boden und insgesamt um die privatwirtschaftlichen Eigentums- und Besitzformen, etwa über die natürlichen Ressourcen wie Wasser, Erze, Erdöl usw.

Der ehemalige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Norbert Blüm, hat prognostiziert: "Der Kapitalismus wird daran zugrunde gehen, dass er Arbeiter und ihre Arbeit nicht würdigt." 1981 stand die sogenannte "Arbeiterfrage" am Ausgang der systematischen Auseinandersetzung der Soziallehre mit dem Kapitalismus. Heute kehrt diese unter geänderten Vorzeichen der Globalisierung zurück und die "Systemfrage" ist aktueller denn je: Ist der Kapitalismus "an sich" gut oder "an sich" schlecht? Ist er reformierbar hin zu einer "Ordnung der Arbeit", die die Würde jedes Menschen sichert? Oder bleibt nichts anderes als die Abschaffung der kapitalistischen Wirtschaftsweise?

Dr. Michael Schäfers
Quelle: Gut wirtschaften. Nachhaltig leben und arbeiten. Ein Arbeits- und Lesebuch der KAB. 2015. www.kab.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Dr. Michael Schäfers, www.kab.de
In: Pfarrbriefservice.de