"Ich war schon oft ein Sicherheitsrisiko"

Adrian Schraud - kleinwüchsig - Azubi bei der Caritas

Schnelle Trippelschritte auf dem Flur, immer eine fröhlich laute Stimme und unheimlich viel Energie: das ist Adrian Schraud, seit einem Jahr Auszubildender beim Diözesan-Caritasverband in Würzburg. Trotz seiner geringen Körpergröße von 128 Zentimetern ist der junge Mann nicht zu übersehen. Seine Behinderung scheint er fast zu ignorieren.

Ein Fehler in der DNA war dafür verantwortlich, dass Adrian Schraud mit Achondroplasie (= Minderwuchs) zur Welt kam. Die Eltern hatten schon während der Schwangerschaft davon gewusst. Sie seien zwar geschockt gewesen, hatten sie später ihrem Sohn erzählt, doch „was kommt, das kommt“ hätten sie sich gesagt und ihr Kind in Liebe angenommen. In der Familie taucht diese Krankheit ansonsten nicht auf, weder seine Eltern noch sein neunjähriger Bruder sind davon betroffen. Was Adrian selbst als eine „Laune der Natur“ bezeichnet, betrifft nach Angaben des Bundesverbandes Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e. V. in Deutschland über 100.000 Menschen.

An seine Kindheit in Gänheim, einem Ortsteil von Arnstein, erinnert sich der Neunzehnjährige gerne zurück. Keine Anzeichen von Ausgrenzung, keine Stigmatisierung, viele Freunde im Dorf. Ein ganz normales Leben. Gut, einige Dinge konnte er nicht, einige Handgriffe machte er anders - doch wenn man es nie anders kennengelernt hat? Was sollte er da vermissen? Seine Eltern traten schnell nach seiner Geburt einer Kontaktgruppe für Kleinwüchsige bei. Mit drei Jahren begegnete Adrian dort anderen Kleinwüchsigen. Auch seine Eltern lernten über die Gruppe viele interessante Menschen kennen, die ihnen sonst nie begegnet wären. „Man lernt Beziehungen anders schätzen“, sagt Adrian.

Kleinwuchs als Sicherheitsrisiko

Die ersten Schwierigkeiten traten auf, als Adrian in den Kindergarten sollte. Im Heimatort wurde er abgelehnt – zu riskant, sagten die Erzieherinnen. Die Eltern brachten ihn in das benachbarte Arnstein, wo er den Kindergarten besuchen konnte. Der ständige Gebrauch des Rollstuhls oder Kinderwagens, für ihn kein Problem – Alltag eben. Doch auch in der Grundschule gab es später deutliche Vorbehalte; die Schulleitung hatte Angst, es könne etwas passieren. Man nahm ihn zwar auf, „doch ich wurde sehr verhätschelt und hatte immer ein oder zwei Lehrer an meiner Seite“, sagt Adrian. Ein eigener Zivi saß immer hinter ihm, um ihm zu helfen und darauf zu achten, dass er nicht übersehen wurde. In den großen Pausen musste er nicht wie die anderen Schüler auf den Hof – Privileg oder Einschränkung? Diese Sonderrolle hat ihm gar nicht gefallen. „Wie soll man sich frei mit Mitschülern unterhalten, wenn ständig ein Lehrer bei einem steht?“, stöhnt er noch heute. „Man wird als was Besonderes gesehen, fühlt sich aber gar nicht so.“ Doch diese Aufmerksamkeit hatte auch etwas Gutes, denn ohne fremde Hilfe konnte er nicht auf die Toilette, und auch ein Rollstuhlschieber stand ihm so immer zur Verfügung.

Nach der Grundschule wollte Adrian Schraud an eine weiterführende Schule. Doch die Haupt- und Realschule in Arnstein winkten ab – schon wieder galt er als ein zu großes Sicherheitsrisiko, das nicht tragbar sei. Alle Empfehlungen liefen auf das Körperbehindertenzentrum im Würzburg hin. Doch Adrian wollte nicht dorthin, er wollte keinen Quali, sondern die Mittlere Reife machen. Schließlich meldeten ihn die Eltern an der Wilhelm-Sattler-Realschule in Schweinfurt an. „Der damalige Rektor Hans Kralik hat uns sehr geholfen“, sagt Adrian. Dort erlebte der Junge in den nächsten Jahren eine weitgehend normale Schullaufbahn. Seine Sonderrolle war nicht mehr so hervorgehoben wie in der Grundschule, kein Atem eines Aufpassers in seinem Nacken. Nur bei der Toilette brauchte er noch Hilfe, in den Pausen kam ein Helfer.

Weil es ihm gesundheitlich zeitweilig schlecht ging, wiederholte er die zehnte Klasse, doch im August 2010 hielt er endlich das heiß ersehnte Zeugnis der Mittleren Reife in Händen. Sein Traumberuf: Bürokaufmann, Berufe mit körperlichem Einsatz kann er nicht ausüben. Auf nur acht Bewerbungen bekam er zum eigenen Erstaunen fünf Einladungen – unter anderem auch vom Diözesan-Caritasverband, bei dem er sich auf Empfehlung eines Bekannten beworben hatte. „Von der Art des Vorstellungsgesprächs war ich so positiv überrascht“, lacht Adrian, „dass ich gleich hierher wollte“.

Doch seine Krankheit ließ ihn auch da nicht los. Es sind vornehmlich Operationen an der Wirbelsäule, denen er sich mehrfach unterziehen musste. Sein Korsett, das ihn jahrelang stützte, benötigt er seit einigen Monaten nicht mehr. Die Wirbelsäule wurde ihm im Lendenwirbelbereich versteift, im Halsbereich, wo er eine Rückenmarksverengung hat, steht die OP noch aus. Doch Adrian will sie nicht, das Risiko ist ihm zu hoch. Im günstigen Fall wird sein Hals nur steif, verläuft die OP ungünstig, muss er eine Querschnittslähmung oder gar den Tod befürchten. Schwierigkeiten erlebt er auch von anderer Seite: Die Arbeitsagentur weigerte sich anfänglich, ihm einen besonderen Stuhl an seinem Ausbildungsplatz zu bezahlen. Der Kampf zog sich über Monate hin und zerrte an den Nerven. Die Agentur verlangte erst ein ausführliches Gutachten.

Und als er auf einer anderen Behörde einen Behindertenparkausweis beantragte, wurde ihm das Papier anfänglich mit der Begründung verweigert, er sei mit seiner Behinderung doch wohl das Ergebnis eines Inzestfalles. „Das ging mir doch ein wenig zu weit“, meint Adrian. Die Verhandlungen mit der Sachbearbeiterin seien dann „etwas problematisch“ gewesen. Mit Behörden sei er sowieso öfter aneinander geraten, „weil die offensichtlich nicht mein Krankheitsbild verstehen.“ Selbst bei Behindertenbeauftragten oder den zuständigen Fachbereichen fehle oft das nötige Wissen über diese Krankheit und ihre Folgen. „Da muss sich noch viel ändern im öffentlichen Bewusstsein.“

Auf seine Ausbildung hat seine Behinderung zumindest keinen Einfluss und liegt ein Ordner mal zu hoch, dann holt ihn jemand für ihn herunter. Als Sicherheitsrisiko gilt Adrian Schraud bei der Caritas jedenfalls nicht.

Ludger Heuer

Bildunterzeile zum Foto:
Adrian Schraud an seinem Arbeitsplatz bei der Caritas in Würzburg. Foto: Ludger Heuer

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Text: Ludger Heuer
In: Pfarrbriefservice.de