Eine Pilgerreise im Mittelalter

Der Aufbruch

Der Pilger war dann ein Pilger, wenn er den Entschluss zu dieser Reise gefasst hatte - kurz- oder langfristig. Für jenen, der Haus und Habe hinterließ, war natürlich mehr zu ordnen und zu regeln, als für den Bettelarmen. So war es Pflicht, vor einer Pilgerfahrt bei der Familie und dem Pfarrer um Erlaubnis dafür zu bitten, sodann ein Testament zu schreiben, die gesamten Verantwortlichkeiten zu übertragen und sich mit allen zu versöhnen, mit denen Zwietracht geherrscht hatte. Der Bruch mit dem bisherigen Leben sollte so konsequent wie möglich vollzogen werden: "...die Pilger waren nämlich, wenn auch nur zeitweilig der diesseitigen Welt gestorben und übernahmen damit einen besonderen religiösen Status, mindestens für die Dauer der Reise." (v. Saucken, 1996, S.106) Tatsächlich war die Welt außerhalb des bis dahin bewohnten Stückes Erde so fremd und unbekannt, wie ein anderes Leben.

Detaillierte Informationen zu Weg und Ziel waren nur schwer zu erlangen. Kenntnisse über Entfernungen, klimatische Bedingungen, fremde Völker wurden entweder mündlich oder durch Pilgerführer (z.B. das 5. Buch des "Liber Sancti Jacobi" oder der 1. Deutsche Pilgerführer von Hermann Künig von Vach "Die Straß und meylen czu Sant Jacob") weitergereicht.

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Der Weg

Die via peregrinalis, welche nun beschritten wurde, galt als geistliches Sinnbild eines christlichen Lebens. Das Gehen auf dem Pilgerweg wurde stets symbolisch gedeutet, als ein Gehen zum verehrungswürdigen Körper eines Heiligen, ein Streben zum himmlischen Jerusalem und ein Zugehen auf Gott. Somit wurde die Zeit des Unterwegsseins durch die innere Haltung und Tugenden des Pilgers geheiligt:

"Entlang der Wegstrecke soll er den Armen, die er trifft, alles Nötige für ihr körperliches und seelisches Heil geben; er soll unnötige Worte und belanglose Unterhaltungen vermeiden und seine Gedanken nur auf das Leben der Heiligen richten, hauptsächlich derjenigen, deren Stätten er auf dem Weg besucht. Vor allem soll er Trunkenheit, Zänkerei und alle Art von unzüchtigen Ausschweifungen unterlassen." (Diaz y Diaz in: v. Saucken, 1999, S.54)

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Die Weggemeinschaft

Gleichzeitig war der Pilger des Mittelalters nie ganz allein. Schon sein Status ließ ihn zum Teil einer übernationalen societas (Gesellschaft) werden, die sich über Herkunft, sozialen Rang oder kulturellen Hintergrund erhob. "Diese Gesellschaft hat keine schriftlich niedergelegten Regeln, sondern Affinitäten, Zeichen zur Identifizierung, gemeinsame Interessen und Bedürfnisse. Es handelt sich um eine neue komplexere Zivilisation, in der sich die Pilger erkennen." (v. Saucken, 1996, S. 107) Innerhalb einer hierarchischen Gesellschaft mutete die Pilgerreise fast wie ein demokratisierendes Element an. Die Traditionen der gemeinsamen Verhaltensweisen wurden dabei aus Gewohnheiten geboren.

Solch ein Zusammengehörigkeitsbewusstsein konnte allerdings nur zustande kommen, weil sich die Pilger ganz selbstverständlich zu Gruppen zusammenschlossen. Genügend Gründe sprachen dafür: Zum einen konnte damit die Wehrhaftigkeit erhöht werden, ebenso die gegenseitige Hilfe und nicht zuletzt die Kurzweil, welche im eintönigen Tagesablauf von Nöten schien. Die gemeinsam durchstandenen Gefahren und ertragenen Nöte ließen die Gruppe zu einer existentiellen Gemeinschaft werden.

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Die Herberge

Die Allgemeingültigkeit des Pilgertypus in seiner religiösen Ausrichtung schützte und beförderte den pilgernden Menschen. So galt das Pilgern als Arbeit und der Pilger als Arbeiter in voller Berechtigung. Er konnte das Gastrecht in Anspruch nehmen, das ihm an unterschiedlichen Stätten der Beherbergung unentgeltlich entgegen gebracht wurde.

Grund für spontane oder institutionelle Gastlichkeit lag im Gebot der Nächstenliebe, welche in jedem Fremden Christus erkannte. Dem einfachen Volk wurde dieser Zusammenhang in beispielhaften Erzählungen, Predigten, sogar königlichen Erlassen nahegebracht.

Zur Ausübung der Barmherzigkeit sahen sich vor allem Gemeindeleiter, Witwen und Diakone angesprochen. Schließlich brachte es das christliche Mönchtum für sich in eine festgeschriebene Regel. Im Kapitel 53 der Regel des Benedikt von Nursia heißt es: " Alle Gäste, die zum Kloster kommen, werden wie Christus aufgenommen; denn er wird einst sprechen: >Ich war fremd, und ihr habt mich nicht beherbergt.< Allen erweise man die gebührende Ehre, besonders den Glaubensgenossen und den Pilgern." (Ohler zit.n. Regel des Benedikt, 2000, S. 147) Die "gebührende Ehre" sollte sich im Empfang mit dem Friedensgruß, dem gemeinsamen Gebet, der Bereitstellung von Speise, Trank und Schlafplatz erweisen. Diese Norm stand natürlich in Spannung mit den Bedingungen des jeweiligen Klosters. Es mussten Kompromisse und somit Kommentare zur Regel geschaffen werden. Neben den rein wirtschaftlichen Möglichkeiten galt es auch die ideelen Werte des Klosterlebens zu berücksichtigen, welche vor allem Kontemplation vorsahen. Dennoch haben Klöster in ihrem je eigenen Maß entscheidend zur Mitmenschlichkeit und christlichen Festigkeit des Pilgerwesens beigetragen.

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Das Ziel

Wer nach drei oder fünf Monaten zu Fuß den Ort der Erfüllung erreichte, blieb niemals unberührt. In vielen Pilgerberichten gestalten sich die Beschreibungen schwärmerisch, ja tief emotional. So die Worte von Nicola Albani: "Plötzlich entdeckte ich die Glockentürme und warf mich auf die Knie. Tausendmal küsste ich den Boden, zog mir die Schuhe aus und ging eilig zur Heiligen Stadt hinunter, wobei ich die heilige Litanei sang. (…) Die Beine und mein ganzer Körper zitterten, der Kopf drehte sich hierhin und dorthin, die Augen schauten nach links und nach rechts, um die geheimnisvolle Kapelle des glorreichen Heiligen zu finden. Als ich sie sah, ging ich in die Knie, berührte mit dem Gesicht den anbetungswürdigen Boden und dankte dem Heiligen in höchstem Maße." (v. Saucken zit.n. Albani, 1999, S.114)

Die Pilgerreise, welche von vornherein auf das Ziel ausgerichtet war, fand mit dem Berühren des Heiligen seine Vollendung. Der Körper des Heiligen bildete den Brennpunkt himmlischer Gnadenfülle und konzentrierter Heilsgewissheit. Die Pilger näherten sich ihm entweder andachtsvoll in Prozessionen oder ehrfurchtsvoll im mehrfachen Beugen der Knie. Mit lauten Gebeten brachten sie sodann ihre Votivgaben dar. Diese spiegelten das wechselseitige Verhältnis zwischen Pilger und dem Heiligen wieder.

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Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich die Pilgerfahrt folgendermaßen umreißen:

Der Aufenthalt in der Fremde (peregrinatio) ist einem religiösen Konzept unterworfen. Dabei wird bereits mit dem AUFBRUCH die Zeit des Unterwegsseins geheiligt und der Pilger durch Insignien gekennzeichnet. Der WEG erweist sich in einem Wechsel von geistlicher Erfüllung und nicht enden wollenden Beschwernissen als Entsprechung zur Lebenswirklichkeit. Die WEGGEMEINSCHAFT festigt das religiöse Bewusstsein und die gemeinsame Identität. Die HERBERGEN verschaffen dem Pilger Heimat in der Fremde als eine Abfolge von schützenden, helfenden, stärkenden Stätten. Im ZIEL erfüllt sich schließlich die Reise durch das Bewusstsein, einen Berührungspunkt mit dem Göttlichen gefunden zu haben, von welchem schuldbeladene Vergangenheit, Krankheit und bange Zukunft in Hoffnung verwandelt werden.

Autorin: Esther Zeiher
Quelle: Ökumenischer Pilgerweg e.V., www.oekumenischerpilgerweg.de

Verknüpft mit:

Das Schwerpunktthema für Juni 2013

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Text: Esther Zeiher
In: Pfarrbriefservice.de