„Die Angst vor dem Scheitern wird eher genommen“

Interview mit Ralf Kemmer, dem Initiator der Fuckup Nights in Berlin

Gelingt ein konstruktiver Umgang mit Fehlern eher, wenn man über sie spricht? Doch wer tut das schon gerne vor anderen Menschen? Bei den sogenannten Fuckup Nights (übersetzt etwa: Nächte des Scheiterns) ist genau das das Konzept. Menschen aus Unternehmen oder Organisationen erzählen vor einem großen Publikum von ihren innovativen Projekten und ihren Fehlern. Fuckup Nights sind weltweit verbreitet, in Deutschland gibt es sie zum Beispiel in Leipzig, Berlin, Frankfurt oder München. Ein Interview mit Professor Ralf Kemmer, dem Initiator der Berliner Fuckup Nights.

Vielen Menschen fällt ein positiver Umgang mit eigenen Fehlern eher schwer. Manche sprechen gar vom Scheitern als einem Tabu. Was macht es so schwer, zu seinen Fehlern zu stehen?

Ralf Kemmer: Wir vermeiden nicht unbedingt, uns mit Fehlern auseinanderzusetzen, sondern wir vermeiden ja meist schon, sie überhaupt zu erkennen. Weil wir unbewusst versuchen, darüber hinwegzukommen und uns nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Ich meine jetzt nicht die offensichtlichen Fehler – etwa falsch abgebogen zu sein, sondern die, die man erkennt, wenn man kritisch das eigene Verhalten reflektiert. Nötig wäre, erst mal ein Bewusstsein zu schaffen, sich mit Fehlern beschäftigen zu wollen, um sich dann auf die Suche nach ihnen zu begeben.

Was hilft da auf die Sprünge?

Ralf Kemmer: Gute Selbstreflexion und eine kritische Haltung sich selbst gegenüber, was das eigene Verhalten angeht.

Was ist die Idee hinter den Fuckup Nights?

Ralf Kemmer: Wir wollen, dass Fehler eine größere Öffentlichkeit bekommen und damit entstigmatisiert werden. Die Idee ist: Je mehr wir darüber sprechen, umso normaler empfinden wir das auch. Dadurch soll nicht mehr die Stigmatisierung oder auch die Schuldfrage im Vordergrund stehen, sondern die Frage, was man aus Fehlern lernen kann.

Gelingt das?

Ralf Kemmer: Nicht im großen Kontext. Während der Fuckup Nights und in Workshops mit Unternehmen entsteht eine Atmosphäre für einen konstruktiven Umgang mit Fehlern und die Entstigmatisierung gelingt. Aber nur temporär. Im Großen und Ganzen würde ich sagen, ist eine positive Fehlerkultur nichts, was sich momentan kulturell entwickelt.

Was melden die Teilnehmenden der Fuckup Nights zurück?

Ralf Kemmer: Die Menschen gehen sehr energiegeladen aus diesen Veranstaltungen. Sie melden uns zurück, dass sie angeregt werden, sich etwas zu trauen oder zu handeln. Der Impuls geht genau in die andere Richtung, die man vielleicht vermuten würde. Die Angst vor dem Scheitern wird bei uns eher genommen, weil das, was erzählt wird und wie es erzählt wird, Mut macht. Man sieht und erlebt Personen mit ihren Visionen, Ideen und ihrem Antrieb. Das wird vermittelt. Das Scheitern folgt zwar aus dem Handeln, aber das ist nicht das, was festgehalten wird in dem Sinne, dass man davor Angst haben müsste. Die Referierenden sind lebendig und aktiv und das ist das, was die meisten berührt und einen Impuls gibt, ins eigene Handeln zu kommen.

Sie beraten Unternehmen, eine positive Fehlerkultur zu etablieren. Haben Sie auch Tipps für soziale Gruppierungen oder für den einzelnen?

Ralf Kemmer: Es gibt zwei, drei Kernpunkte. Der eine ist Transparenz. Es hilft absolut, egal in welchem Gefüge man ist, offen mit Fehlern umzugehen, denn damit lassen sich weitere Fehler vermeiden oder Missverständnisse schneller aufklären. Transparenz bringt Kommunikation mit sich. Je kommunikativer und offener man miteinander umgeht, umso hilfreicher ist das. Und im organisatorischen Bereich, was man auch für die soziale Ebene herunterbrechen kann, gilt es, auf Augenhöhe und menschlich miteinander umzugehen.

Was haben Sie durch die Beschäftigung mit Fehlern für sich selber gelernt?

Ralf Kemmer: Einen offeneren Umgang mit Fehlern. Dass man zugibt, Dinge falsch gemacht zu haben, auch im Kleinen. Wenn man es weiß, kann man es ja auch sagen, und man muss nicht drum herum reden oder vermeidend damit umgehen. Oft ist das sogar der einfachere Weg und zieht meist keine großen Konsequenzen nach sich.

… und kann ansteckend für andere sein, eigene Fehler zuzugeben.

Ralf Kemmer: Absolut. Interessant finde ich, dass Sie mich aus dem kirchlichen Kontext heraus anfragen. Bei den Workshops in Unternehmen stellen wir immer wieder extrem viel Nachholbedarf in diesem Bereich fest. Und wenn wir über kulturelle Prägung sprechen, ist die katholische Kirche meiner Meinung nach durchaus dafür verantwortlich, was kulturell vorherrscht. Dass man eben mit Fehlern nicht offen umgeht. Das hat zum einen mit unserem Bildungssystem zu tun, wie wir bewerten und Noten vergeben, aber auch mit traditionell einflussreichen Akteuren in diesem Bereich. Transparenz, Kommunikation und ein Miteinander auf Augenhöhe zeichnen die Kirche als Institution nicht aus – zumindest von außen betrachtet.

Interview: Elfriede Klauer, In: Pfarrbriefservice.de

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Text: Elfriede Klauer
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