Deutsch statt Dari

Urheberrechtlicher Hinweis: Folgender Text der Deutschen Welle steht nur für den kostenfreien Abdruck im gedruckten Pfarrbrief zur Verfügung. Er darf redaktionell nicht bearbeitet oder gekürzt werden.

Afzal und Rafie stammen aus Afghanistan. Seit ein paar Monaten sind sie in Deutschland. Geflohen vor dem Krieg in der Heimat. Ob sie bleiben dürfen, wissen sie noch nicht. Sie warten und hoffen. Und lernen deutsch.

Sechs Monate war Afzal unterwegs. Zu Fuß, mit dem Bus, oder auch mal zu Pferd. Eine Odyssee, die ihn vom zentralafghanischen Wardak nach Bergisch Gladbach in Nordrhein-Westfalen führte. Durch Pakistan, Iran, die Türkei, Bulgarien bis in die neue Wunschheimat Deutschland. Die Strapazen der Reise konnten ihn nicht abschrecken. Er nahm sie in Kauf, er wollte einfach nur weg. Obwohl er dafür seine Eltern und Verwandten zurücklassen musste. "In meiner Heimat werden Menschen verhaftet oder ermordet", sagt er. "Deshalb bin ich hier."

Afzal ist 29 Jahre alt. Frieden kennt er nicht. Als er geboren wurde, kämpfte Afghanistan einen blutigen, zehn Jahre andauernden Krieg gegen die Sowjetunion. Dann kamen die Taliban an die Macht. Nach dem 11. September 2001 folgte der internationale Kampf gegen den Terrorismus, im Dezember 2013 endete der NATO-geführte Kampfeinsatz. Auch er brachte dem Land keinen dauerhaften Frieden. "Ich glaube nicht daran, dass sich an dieser Situation etwas ändert", meint Afzal. Deshalb möchte er sich hier ein neues Leben aufbauen, möchte lernen und arbeiten.

Ein Traum und eine Idee

Er träumt davon, eines Tages Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Ein ferner Traum. Denn Afzal kann weder lesen noch schreiben. Er hat nie eine Schule besucht in Afghanistan. Jetzt allerdings büffelt er zweimal pro Woche Deutsch. Zusammen mit rund 65 anderen Flüchtlingen aus aller Welt. Sie alle sind Teil der Initiative "Herwi". Die Abkürzung steht für "Herzlich Willkommen". Und geht zurück auf eine Idee von Klaus Farber und seiner Frau. Nach seiner Pensionierung kam dem ehemaligen Leiter einer Kölner Hauptschule der Gedanke, Flüchtlingen eine sprachliche Starthilfe zu geben. Menschen, deren Aufenthaltsstatus noch ungeklärt ist und die deshalb auch keine finanzielle Unterstützung vom Staat für Sprachkurse bekommen.

Farber machte sich auf die Suche nach Mitstreitern für sein Projekt. Über die Freiwilligen-Börse und seine alte Schule kamen schnell zehn ehrenamtliche Mitarbeiter zusammen. Dann erschien ein Artikel in der örtlichen Zeitung. "Darauf haben sich fast 50 Leute gemeldet, die bereit waren, Sprachunterricht zu geben." Drei Viertel davon sind selbst ehemalige Lehrer, die anderen kommen aus unterschiedlichen Berufen. Seit Anfang des Jahres unterrichten sie regelmäßig montags und mittwochs. Ihre Schüler sind allesamt Erwachsene. Das war Klaus Farber wichtig. "Die Kinder der Flüchtlinge können zur Schule gehen, aber die Eltern haben hier niemanden." Mit dem Unterricht möchten er und die anderen ihnen ein Stück Halt geben. Daneben unterstützen sie die Flüchtlinge auch bei Arztbesuchen oder Amtsterminen.

Mission: Sprach- und Lebenshilfe

In kleinen Gruppen sitzen die Schüler in Bergisch Gladbach in einem von der Stadt angemieteten Haus mit ihren Lehrern zusammen, üben in rustikalem Ambiente mit bunten Schautafeln Vokabeln oder Grammatik. Aber nicht nur. "Handlungsorientiert" nennt Klaus Farber den Unterricht. Es geht darum, in der Praxis zurechtzukommen. Die Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, Armenien, Eritrea, Nigeria oder eben Afghanistan sollen lernen, sich besser im Alltag zurechtzufinden, damit sie beispielsweise selbstständig einkaufen oder nach dem Weg fragen können.

Der Bildungsstand der Gruppe sei insgesamt eher hoch, schildert Klaus Farber. "Wir haben zwar auch ein paar Analphabeten dabei, aber die meisten sprechen mehr oder weniger gut Englisch. Und viele haben Berufe, die in der deutschen Wirtschaft gefragt sind, zum Beispiel IT-Ingenieure und Maschinenbauer."

Die Angst und die Unsicherheit

Auch der 34-jährige Rafie, der sich nicht fotografieren lassen möchte, gehörte in seiner Heimat zur Bildungsschicht. In Afghanistan arbeitete er nach dem Abitur als Journalist. Ein Studium hat er nicht absolviert, aber mehrere Kurse belegt. Und dann für zwei Zeitungen gearbeitet. Seit zehn Monaten ist er jetzt in Deutschland, seine Eltern leben noch in Kabul, verheiratet ist er nicht. Er trägt sportliche Kleidung: Jeans, Kapuzenjacke. Aber seine Augen sind ernst. Wie Afzal kam auch er über Land. Insgesamt sieben Monate dauerte es. Zwischenzeitlich wurde er festgenommen, saß auch im Gefängnis, berichtet er. Gern würde er wieder in seinem Beruf arbeiten. "Wenn ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekäme, dann würde ich am liebsten Journalismus studieren."

Die Sorge, ob sie dauerhaft in Deutschland bleiben können oder wieder in die Heimat abgeschoben werden, beschäftigt viele seiner Schützlinge, erzählt Klaus Farber. Er und die anderen ehrenamtlichen Helfer leiden jedes Mal mit, wenn einer "ihrer" Flüchtlinge – wie er sie nennt – die Mitteilung bekommt, dass sie möglicherweise zurückgeschickt werden. "Die meisten haben Angst. Sie wollen wissen: Werden wir das Bleiberecht bekommen? Eine Arbeit finden? Was wird mit uns passieren?" Mehrere Fälle standen schon auf der Kippe, berichtet Farber. Aber tatsächlich abgeschoben wurde in den vergangenen fünf Monaten niemand. Und trotz aller Angst: Alle sind hochmotiviert beim Sprachunterricht. Darüber freut er sich. "Wir haben sie auch gefragt, ob sie weitermachen wollen. Alle haben mit Ja geantwortet. Ohne Ausnahme."

Weitermachen – mit Open End

Wenn es nach Afzal ginge, dann würde es noch mehr Deutschstunden pro Woche geben. Zweimal zwei Stunden sind einfach nicht genug, meint er. "Da habe ich in der Woche danach die Hälfte wieder vergessen." Auch Rafie gibt zu, dass es manchmal ganz schön hart ist. "Deutsch zu lernen ist für mich sehr schwer. Aber ich tue mein Bestes." Aufgeben kommt für beide nicht in Frage. Sie fühlen sich wohl in Deutschland, sagen sie. Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit oder Vorurteilen? Nein, die hätten sie nicht gemacht. Das Interview geben beide in ihrer Muttersprache. Am Ende gibt es dann eine kleine Kostprobe auf Deutsch: "Vielen Dank für das Gespräch."

Fünf Monate läuft die Initiative von Klaus Farber jetzt. Eigentlich sollte nach sechs Monaten Schluss sein, so war es ursprünglich gedacht. Das halbe Jahr ist jetzt bald vorbei. Aber ans Aufhören denkt Farber nicht. "Wir haben in Bergisch-Gladbach rund 600 Flüchtlinge, und bis Ende des Jahres rechne ich damit, dass es mehr als 1000 sein werden." Arbeit für ihn und sein ehrenamtliches Team wird es also weiter genug geben. "Und solange beide Seiten, wir und die Flüchtlinge, es wollen, ist das hier erstmal ein Job ohne Ende."

Esther Felden (29.04.2015)
Quelle: Deutsche Welle, www.dw.de, In: Pfarrbriefservice.de

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Das Schwerpunktthema für September 2015

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Text: Esther Felden, www.dw.de
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